Erzählungen
Weise gewonnenen Staub ins Feuer warf, verbreitete sich ein Geruch von Kampfer und wohlriechenden Harzen.
Wir untersuchten den Körper mit großer Sorgfalt, um die Öffnung zu entdecken, durch die man die Eingeweide herausgenommen, konnten sie jedoch zu unserem großen Erstaunen nicht finden. Niemand von uns wußte damals, daß vollständige, ungeöffnete Mumien gar nicht so selten vorkommen. Man hatte gewöhnlich das Gehirn durch die Nase und die Eingeweide durch einen Einschnitt in die Seite entfernt; hierauf wurde dann der Körper rasiert, gewaschen, mit Salz eingerieben und mehrere Wochen so liegen gelassen, ehe die eigentliche Einbalsamierung begann.
Als wir keine Spur von einer Öffnung entdecken konnten und Doktor Ponnonner schon seine Instrumente zur Sektion bereit legte, machte ich die Bemerkung, daß es bereits zwei Uhr vorbei sei. Wir beschlossen also, die innere Untersuchung bis zum nächsten Abend aufzuschieben, und wollten uns gerade voneinander verabschieden, als einer der Anwesenden den Vorschlag machte, noch ein paar Experimente mit der voltaischen Säule vorzunehmen.
Eine drei- bis viertausend Jahre alte Mumie elektrisieren zu wollen, war ein, wenn auch nicht gerade sehr vernünftiger, doch immerhin so origineller Vorschlag, daß wir alle sofort auf denselben eingingen.
Wir machten in des Doktors Studierzimmer eine elektrische Batterie zurecht, trugen den Ägypter hinüber und sahen mit einem aus einem Zehntel Ernst und neun Zehntel Scherz gemischten Gefühle den Dingen entgegen, die da kommen sollten.
Nach vieler Mühe gelang es uns, einen Teil von den Muskeln an der Schläfe bloßzulegen. Er war nicht ganz so steinhart wie der übrige Körper, gab aber, wie wir eigentlich als selbstverständlich vorausgesetzt hatten, nicht das geringste Zeichen von Empfänglichkeit für die Elektrizität, die wir ihm durch die Berührung mit dem Drahte der Batterie zuführten. Dieser erste Versuch schien also entscheidend zu sein, und mit einem herzlichen Gelächter über unsere Torheit wollten wir uns gerade gute Nacht wünschen, als meine Blicke zufällig auf die Augen der Mumie fielen und mit höchstem Erstaunen an denselben haften blieben. Mein kurzer Blick hatte mir gezeigt, daß diese Augen, die wir alle wegen ihres sonderbaren starren Blickes für gläserne gehalten, jetzt plötzlich so tief unter den Lidern versteckt lagen, daß nur ein ganz kleiner Strich von der tunica albuginea sichtbar blieb. Mit einem unwillkürlichen lauten Ausrufe lenkte ich die Aufmerksamkeit der Gesellschaft auf diese Tatsache und sah an dem Ausdruck ihrer Gesichter, daß ich mich nicht getäuscht hatte.
Ich will jedoch nicht behaupten, daß mich die wunderbare Erscheinung erschreckt habe – denn dieses Wort würde meine Gefühle nicht ganz richtig wiedergeben; es ist höchstens möglich, daß mich der braune Stout ein wenig aufgeregt hatte. Niemand von der übrigen Gesellschaft aber machte auch nur den geringsten Versuch, seine Angst zu verbergen. Doktor Ponnonner sah geradezu beklagenswert aus, Herr Gliddon war durch einen unerklärlichen Vorgang plötzlich unsichtbar geworden, und ich glaube, daß Herr Silk Buckingham kaum die Kühnheit haben wird, zu leugnen, daß er sich auf allen Vieren ein Versteck unter dem Tische gesucht.
Nachdem der erste Ausbruch des, sagen wir, Erstaunens vorüber war, faßten wir erklärlicherweise den Entschluß, mit den Experimenten fortzufahren. Wir machten also zunächst an der großen Zehe des rechten Fußes einen Einschnitt über dem äußeren ›os sesamoideum pol icis pedis‹ und gelangten an die Wurzel des ›abductor‹ Muskels.
Während wir nun den elektrischen Strom aufs neue gegen die gespaltenen Nerven leiteten, zog die Mumie plötzlich mit einer vollständig lebensähnlichen Bewegung ihr rechtes Knie so weit in die Höhe, daß es fast mit dem Leibe in Berührung kam. Darauf streckte sie es mit einem gewaltsamen Ruck wieder gerade und versetzte dabei dem Doktor Ponnonner einen so heftigen Stoß, daß der gute Herr wie ein vom Bogen geschnellter Pfeil durch das eine Fenster hindurch und auf die Straße flog.
Wir stürzten alle auf einmal hinaus, um die verstümmelten Überreste des unglückseligen Opfers der Wissenschaft zu sammeln. Doch begegneten wir ihm schon auf der Treppe, die er unversehrt und mit seltsamer Hast hinaufstieg, übervoll von neuen Ideen und mehr als je von der Notwendigkeit überzeugt, unsere Experimente mit Nachdruck und Eifer fortsetzen zu müssen.
Auf
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