Erzählungen
Linken lassen und auf jene stillen Sternenwiesen jenseits des Orion hinübergleiten, wo statt Veilchen Sternblumen stehen, wo die Beete dreifacher und dreifarbiger Sonnenblumen leuchten.
Oinos: Und nun, mein Agathos, belehre mich, während wir dahineilen! Sprich zu mir in den vertrauten Klängen der Erde! Ich habe nicht verstanden, was du mir eben über den Ursprung und die Entwicklung dessen, was wir während unserer Sterblichkeit Schöpfung zu nennen gewöhnt waren, andeutetest. Wolltest du sagen, daß der Schöpfer nicht Gott ist?
Agathos: Ich sage, daß die Gottheit nicht schafft .
Oinos: Wie soll ich das verstehen?
Agathos: Nur im Anfange schuf . Die scheinbaren ›Geschöpfe‹, die wir jetzt im Weltall beständig ›werden‹ sehen, können nur als mittelbare, allmähliche, nicht als unmittelbare, sofortige Ergebnisse der göttlichen Schaffenskraft betrachtet werden.
Oinos: Die Menschen, mein Agathos, würden diesen Gedanken für äußerst ketzerisch gehalten haben.
Agathos: Die Engel, mein Oinos, wissen, daß er einfach wahr ist.
Oinos: Bis hierher habe ich dich jetzt verstanden! Du sagst, daß gewisse Handlungen dessen, was wir Natur oder Naturgesetzlichkeit nennen, unter gewissen Umständen etwas hervorbringen, das lediglich den Anschein der Erschaffung hat. Ich erinnere mich sehr gut, daß kurz vor dem Untergange der Erde verschiedene erfolgreiche Experimente gemacht wurden, von denen einige Philosophen, eitel genug, als von der ›Erschaffung der animalculae‹ sprachen.
Agathos: Die Fälle, von denen du redest, waren in der Tat Beispiele jener Erschaffung zweiten Grades – jener überhaupt einzigen Art von Erschaffung, die da wirkt, seitdem einst das erste Wort das erste Gesetz ins Dasein rief.
Oinos: Sind nicht jene Sternenwelten, die stündlich aus dem Abgrunde des Nichtseins in die Himmel emporsprühen – sind nicht diese Sterne das unmittelbare Werk Hände?
Agathos: Ich will versuchen, mein Oinos, dich Schritt für Schritt in meine Erkenntnis einzuführen. Du weißt sehr wohl, daß kein Gedanke verloren gehen kann und jede Handlung eine unendliche Wirkung hat. Als wir noch die Erde bewohnten, bewegten wir zum Beispiel unsere Hände und brachten dadurch die Atmosphäre, die den Erdball umgürtete, in Schwingung. Die Schwingung griff unbegrenzt um sich, bis sie jedes kleinste Teilchen der Erdenluft bewegt hatte, das von jetzt ab für immer durch die eine Bewegung der Hand beeinflußt worden war. Diese Tatsache war den Mathematikern unserer Erde wohl bekannt. Die durch bestimmte Einflüsse auf die Atmosphäre hervorgerufenen Wirkungen waren oft Gegenstand exakter Berechnungen – man bestimmte mit Leichtigkeit, zu welcher Zeit ein Einfluß von gegebener Stärke sich über den Erdkreis ausgebreitet und auf jedes Atom der Atmosphäre auf immer eingewirkt haben würde. Und umgekehrt rechnete man ohne Schwierigkeit aus einer unter gewissen Umständen gegebenen Wirkung die Stärke des ersten Einflusses heraus. Die Mathematiker nun, die erkannten, daß die Wirkungen eines jeden Einflusses absolut unbegrenzte seien, die einsahen, daß ein Teil dieser Wirkungen mittels der algebraischen Analyse aufs genaueste zu berechnen sei, und die sich auch von der leichten Anwendbarkeit der retrogradiven Berechnung überzeugt hatten – diese Männer erfuhren zu gleicher Zeit, daß die Spezies der Analyse in sich selbst die Fähigkeit zu unbegrenzter Vervollkommnung trage – daß ihrer Ausdehnung und ihrer Anwendbarkeit keine anderen Grenzen gezogen seien als die, welche auch den Verstand des jeweiligen Rechners beschränkten. Bei diesem Punkte jedoch blieben unsere Mathematiker stehen.
Oinos: Und weshalb, Agathos, hätten sie weitergehen sollen?
Agathos: Weil sie dann zu einigen höchst interessanten Betrachtungen gekommen wären. Aus dem, was sie wußten, ging nämlich hervor, daß ein Wesen von unbegrenztem Verstande, ein Wesen, das die algebraische Analyse vol kommen ausüben konnte, jeden Einfluß auf die Luft, und durch die Luft jeden Einfluß auf den Äther, bis in seine weitliegendsten Folgen zu dem unendlich entferntesten Zeitpunkte auszurechnen befähigt sein müsse. Es läßt sich in der Tat beweisen, daß jeder Einfluß auf die Luft zum Schlusse auf jede Erscheinung im Weltall seine Wirkung ausübt; und das Wesen von unbegrenztem Verstande, das wir uns eben vorgestellt haben, könnte die entfernten Schwingungen eines Einflusses weiter verfolgen – weiter in allen
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