Erzaehlungen aus dem Nachlass
beschloss sobald der nächste Morgen angebrochen sein würde hinaufzugehen, und sich energisch Klarheit zu verschaffen.
Über die rothe Liese im kleinen Stübchen oben aber waren Stunden der Einkehr gekommen. – Sie wusste selbst nicht wie. – Fern aus dem kleinen Heimatdorfe war ein Brief ihr geworden; – kaum drei Zeilen mit zittriger, ungeschickter, kindischer Hand. – Von der Mutter. – Die glaubte ihr Kind wohl versorgt in einer Handschuhnäherei. Sie sandte ihm ihren Segen – den letzten; denn sie fühlte sich matt und krank. – Das Mädchen hatte den Brief gelesen und ihn dann in ihr Schubfach gelegt. Aber wie oft hatte sie ihn wieder vorgenommen. – Sie saß da, überlas die armen, kargen und doch so innigen Worte! Las sie immer wieder und weinte. Abends aber verriegelte sie wohl ihre Thüre und hielt das zerknitterte Papier fest zwischen den gefalteten Händen wenn sie einschlief. Und wenn sie morgens erwachte da küsste sie wieder und wieder den schlichten Brief.
Es muss anders werden! So sagte sie sich.
Und sie kniete hin und flehte: »Mutter, Mutter, hilf mir!«
*
… draußen pochte es. – An der Schwelle stand die alte Thürwärterin mit widerlichem, verständnisvollen Lächeln. – Liese schenkte ihr wenig Achtung. Sie bereitete sich zum Ausgehen vor. – Sie wollte einen heiligen Gang thun …
Die an der Thüre hüstelte; es klang hässlich und heiser.
Das Mädchen ordnete sich vor dem kleinen, fleckligen Spiegel das reiche rothgoldige Haar: »Was giebts denn Brigitte?«
Die Hexe hüstelte wieder.
Liese drückte sich den Hut auf die widerspenstigen Locken.
»Nun.«
Brigitte hinkte näher. Ihre dürre Gestalt reckte sich unter dem verschossenen missfarbigen Hülltuch. Mit ekliger Vertraulichkeit legte sie die schmutzige Hand auf des Mädchens Schulter. Die dünnen bläulichen Lippen umzogen teuflische Falten – …
»He, Fräulein Liese«, kicherte sie … – heut’ nacht, – ich hab einen bereit« …
Die Angeredete erbleichte.
»So um ½ II,« fuhr die Kupplerin fort. Das Mädchen trat zurück. Sie empfand Abscheu vor diesem gemeinen hässlichen Weibe.
»Du darfst niemehr jemanden herauf lassen« sagte sie ernst. Ihre Stimme zitterte.
»No, no, schönes Fräulein« begütigte die Thorhüterin – »bös müssens nicht sein, wir verstehen uns doch … gelt?!« Sie zwinkerte ein paar Male mit den rothumrandeten Liedern.
»Untersteh dich nicht –, Alte, geh …«
»Ah so,« unterbrach sie die Megäre, so gefällt’s dem gnädigen Fräulein, – mich einfach hinauswerfen – so – so – no ich geh schon aber warten’s nur; ja das ist der Lohn, wenn man sich so ein saubers Fruchtel ins Haus nimmt so eine … Sie brummte noch eine Weile fort. … aber ich will schon dem Hausherrn sagen, er soll so was nicht dulden … nicht dulden …
Liese verließ zugleich mit der Hexe die Stube.
Sie war sorgfältiger gekleidet als sonst.
Das erweckte die Neugier des Weibes.
»Wohin geh’ns den(n) Fräu’l’n?« fragte sie in freundlicherem Tone.
Das Mädchen antwortete nicht.
Dann während sie die Treppe herunterschritten sagte sie kaum hörbar:
»In die Kirche.«
Die Alte lachte auf, dass sie sich am Geländer halten musste. Schrill gellte es im dunkeln Stiegenhause.
Liese aber ging wirklich in die Kirche.
*
Liese war eingetreten in die hohen dämmernden Hallen der Kirche, und ein Gefühl, das ihr bis zum Augenblicke fremd war, hatte sich unvermerkt in ihr Herz geschlichen. Ein Gefühl von Weihe und Zerknirschung; Die goldnen Heiligen blickten sie so sonderbar, so geheimnisvoll an von den grauen Sockeln herab und das weite Schweigen der einsamen hohen Hallen, in denen der Schritt ihrer kleinen Füße so mächtig widerhallte, als sollte das bebende Echo Allen künden: hier geht eine Sünderin, – dieses weite Schweigen senkte sich wie ein Morgennebel auf die Nacht ihrer Seele. Licht ward in ihr. – Gleich der jauchzenden Lerche die dem Dämmern des heimlichen Frühlichts freudig entschwebt, entstieg ihrem reuigen Herzen leicht ein befreiend Gebet. – Noch war es ja nicht zu spät zur Umkehr, – noch hatte das Laster das Vermögen reinen Gefühles ihr nicht aus dem Busen vertrieben. – Sie fühlte es. Und sie rang in heißem, kindlichem Flehen an den Stufen des ragenden Altars die Hände. – Unstät flackerten zu beiden Seiten die Totenkerzen die hohen und schleuderten irrende Lichter auf das Antlitz des wunderthätigen Madonnenbildes. – Der Sünderin schiens als
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