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Erzaehlungen aus dem Nachlass

Erzaehlungen aus dem Nachlass

Titel: Erzaehlungen aus dem Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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hatte seinen Miko wieder!
    »Miko, Miko« sang er unaufhörlich.
    Sein Gastgeber schüttelte den Kopf.
    Der Bursch aber ließ sich nicht beirren in seiner Freude. – Jetzt heißt eilen sagte er sich. Solangs noch morgen ist heimfahren, damit du nicht in die Hitze hinein kommst… und lachend schürte er den Gaul an …
    *
    Heut gings leicht.
    Ein Lied auf den Lippen fuhr der Bursch in den blauen Morgen hinaus. Er schaute rechts und links in die Felder die thaufrisch in heiterem Grün sich weit hinstreckten bis an die Hügelketten. Er hörte auf das Zwitschern und Trillern von dem die Lüfte tönten, und lachte über die goldenen Ähren die sich so ehrerbietig vor dem übermütigen Frühwind neigten. Sein ganzes Herz war voll Jubel: Miko, Miko, rief er ein über das andere Mal. Das ging vorwärts!
    In vier Stunden kaum würde er daheim sein, – sicher – und wie wird die Mutter lachen… wenn er ihr…
    Er dachte nicht aus.
    Etwas durchzuckte ihn…
    Was war das schwarzes dort im Straßengraben?
    »Hö, Miko, halt! Er brachte kaum den Ruf aus der Kehle. Er zerrte am Zügel. Sprang ab, lief herzu …
    Da unter grünem Kraut der Sarg mit dem großen, silbernen Kreuz.
    Mutter …
    Und er legte den Sarg quer über, wandte den Wagen und fuhr langsam zum Dorf zurück – der arme Betteltoni.
    Halb von Thränen erstickt klang es: »Öa Hot! Öa Hot! …«

Eine Heilige
Motto: »Der Sünde Sold ist Tod…«
Röm. 6. 23.

    Es gibt Menschen, die rein bleiben mitten im schmutzigsten Leben. Wie der Mondstrahl sich nicht befleckt, der in der jauchigen Gosse irrt. – Es gibt solche Menschen. Und ich stelle sie mir immer so vor, wie die Gestalten der ernsten, Byzantinischen, nachgedunkelten Heiligenbilder mit den schmalen klaren Stirnen und langen, dünnen, fleischlosen Händen. Händen, wie sie die entsagende, gebende Liebe hat …
    Und – war sie denn eine Heilige? – Sie, die schwarzhaarige Anna, das Ehweib des Schlossers Gaming? –
    Fast so sah sie aus wie jene Kirchenbilder. Nur nicht so ernst, – kindischer kleiner, unbedeutender, – aber viel trauriger. So traurig!
    Mir war immer, als müsste die Sonne verglimmen, wenn dieses Auge ihr begegnete.
    Und Anna schaute gern in die Sonne.
    Besonders wenn der rothe Ball im Westen hinter die Hänge rollte.
    Da saß sie da in der dumpfigen Stube am Fenster, das Gesicht in die hageren Hände geschmiegt, und bohrte ihre Blicke in das ferne Abendfeuer.
    Dann – wenn es verloschen war und der wehmüthige Sommerabend das müde Grün der Hügel mit cardinalrothen Streifen grenzte, dann ging erst die Sonne in ihren Augen auf, die milde Sonne der Träumerei.
    Leise regten sich ihre dunkelrothen Lippen.
    Halblaut sang sie die Volksweise; ihre Stimme klang, wie der Frühwind in Erlenbüschen:
… er kommt, ich weiß,
Zu mir zurück
Und mit ihm kommt
Das alte Glück.
Es kommt zurück
Trotz Neid und Noth, –
Das alte Glück
Ist ja nicht tod…
    *
    »Himmel Donnerwetter, – wirst mir noch vielleicht einen Vorwurf machen, du … Ich kann nachhaus kommen wanns mich freut, merk dirs! – Und wenn du… Herrrr Gott!« Gaming ließ die Faust dröhnend auf den Tisch fallen.
    Anna saß in der Ecke und schaute mit großen Augen ins Leere. »Und wann ich mich besauf, gehts dich auch nichts an! Mich freuts einmal so! Was bist so dumm, du Stubenhockerin, und gehst nicht auch auf dein Vergnügen aus?… Ho – hab halt nichts dagegen… Ha, ha, ha, ha – und er lachte unbändig; das schleimige, raschelnde Lachen der Säufer. – Sein Weib fröstelte.
    Der Schlosser erhob sich schwerfällig und ging mit unsichern schwanken Schritten aus der Stube.
    Und jetzt weinte Anna. Weinte still wie ein krankes Kind in Fieberträumen weint. Warum? Weil es ihr so weh that links beim Herzen.
    Es pochte.
    Noch einmal.
    Ein jüngerer braunlockiger Mann stand in der Thür.
    »Morgen, Frau Gaming. – Doch – Ihr weint’s ja?!«
    Nein, sagte die Schlossersfrau und fuhr sich mit der Hand über die Augen – ich wein’ nicht … ‘s ist nur so …
    Und dann in anderem Ton: »Morgen, Anton.«
    Sie reichte ihm die Hand.
    »Setzt’ Euch ein wenig.«
    »Dank schön.«
    So saßen sie nebeneinander.
    Anna und der junge Schreinermeister Anton. – Aber sie sprachen kein Wort.
    Dann sagte Anna leise:
    »Wohin geht’s denn?«
    »Arbeit – in die Stadt.« –
    »So?«
    »Ja«. –
    Stille. –
    »Wie gehts Eurer alten Mutter, Anton.«
    Dank der Nachfrage, Frau Gaming, ‘s muss halt. Mein Gott so ein alt’s

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