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Erzaehlungen aus dem Nachlass

Erzaehlungen aus dem Nachlass

Titel: Erzaehlungen aus dem Nachlass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Maria Rilke
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Frauerl…
    Und wieder still.
    Draußen stand der Sommertag und schaute mit blauem Auge herein.
    Und es löste das Licht seines Blicks die Herzen der beiden Menschen.
    »Frau Gaming?«
    »Anton?«
    »Er hat Euch heut’ wieder g’schlagen?«
    Anna schwieg.
    »Offen – sagt mirs.«
    »Ja.«
    »Ja, könnt ihr denn das so fort ertragen?«
    Sie schaute ins Weite.
    Und er nahm sich Muth: »Anna, weißt ich bin Dir so gut – komm mit mir!…«
    »Mit…« einen Augenblick lohte es auf in ihrem Blick.
    Just so wie wenn sie das Volkslied sang.
    Dann verlosch die Gluth jäh.
    Sie sah ihn er(n)st und traurig an.
    »Nein, das geht nicht.«
    »Anna!«
    »Nein.«
    »Warum?«
    »Ich bin sein Weib…«
    »Aber…«
    »Ich bin sein Weib.« –
    Anton erhob sich. Sie reichte ihm die braune Hand.
    »Adjes, Anton.«
    »Adjes.« –
    Und er ging. Bei der Thür spuckte er aus durch die Zähne. »Mit Gott.« Rief ihm Anna nach. Vielleicht hat er’s noch hören können. Er schaute sich aber nicht mehr um. Gamings Weib saß wieder allein in der Stube. Und sie weinte wieder. Diesmal heftig und stürmisch. – *
    »Du lasst deine Stuben offen, die Nacht! – Hörst! Ich habs’n Wirten versprochen. Der Kerl ist ja ganz närrisch in dich. – Fort die Ann’ und die Ann’ …«
    »Trottel, hab ich ihm g’sagt, was hast denn an dem Ding g’fressen?«
    Und dann haben wir trunken.
    Und da ist der Wirt schlechter Laune g’west. –
    »Gaming«, hat er g’sagt, »du bist mir schon ein Posten kreidig!« –
    »No«, hab ich gsagt, zahlen kann ich Dir nicht. –
    »Ich hab nichts.« –
    Dann haben wir weitertrunken.
    Dann hat er wieder angfangen.
    »Ich hab nichts, Luder!«
    Hast nicht dein Weib?…
    Und wieder hat er mir eing’schenkt. Er hat einen verflucht guten Saft, der Kerl. –
    »No magst das Weib?« Hab ich dann g’fragt.
    »Ob?« …
    No, obst das Weib magst …
    No, und da hat er nicht nein g’sagt! Der Schlauchel! –«
    Anna saß wortlos mit en(t)setzten, weiten Augen da. Ihr Gesicht war gelb. Ihre Hände klammerten sich krampfhaft an die Stuhlkante.
    »Was gaffst denn so«, fuhr der Schlosser auf. – »Sollst froh sein, dass so ein g’sunder, starker Mann wie der Huberwirt dich will – so eine …«
    »Also lasst’ ihn ein?«
    »Nein.« Das klang wie ein Stöhnen.
    »Nein!« schrie der Gaming. Willst du die Dame spielen. Weib, ich hab mein Wort geben, und der Sauhund schickt mirs Gericht und die Pfändung am Hals wenn du nicht … Willst?
    Sein Mund war voll Speichel. Er rollte die Worte mühsam heraus. – Willst?! Donnerte er am ganzen Leibe bebend.
    »Nein.« sagte Anna fest. –
    Da sprang Gaming mit erhobener Faust auf sie zu; und er packte sie an der Schulter, dass das Kleid in Fetzen ging und rüttelte sie …
    »Ich bin dein Herr, Weib! Ich hab hier auch noch ein Wort mitzureden – Auch noch ein Wort …« stammelte er in wahnwitziger Wuth. »Ha, ha, ha, ha« … gellend lachte er auf und ließ ab von Anna.
    – Und ich frag dich noch erst? …«
    Er spuckte weithin auf die Dielen und schob sich grinsend hinaus. Er schloss hinter sich die Thür und mit winselndem Klagelaut drehte sich der Schlüssel im Schloss um. – »So …« hörte Anna ihn sagen – dann ächzte die Treppe unter des Schlossers gewichtigem Tritt. –
    Stille.
    Und Anna saß da den Kopf in beide Hände gepresst. Und sie krallte ihre Finger in das dichte, weiche Haar und in die Kopfhaut tief, dass es sehr schmerzte. Der Schmerz that ihr wohl.
    Was jetzt? Was jetzt?
    Gar nicht denken konnte sie.
    Und mechanisch und blöde lief ihr Blick hin längst der langen Rinnsale und Furchen der alten rissigen Tischplatte. Da gab es einen Punkt in dem alle die Striche zusammenliefen und diesen einen Punkt schaute sie jetzt an ohnmächtig sinnlos – und fiebernd …
    Der Punkt wurde immer schwärzer und schwärzer denn durch die Scheiben tropfte schon langsam der Abend. – Der Abend. Es schien ihr, als würfe er Netze aus, weite schwarzmaschige Netze sie zu fangen, wie der Jäger dem unschuldigen Wilde auflauert.
    Sie fuhr empor. Es war kein Gedanke in ihr nur eine That: Sie riss das Fenster auf und an den Rebenstangen behende nieder. – Dann lief sie durch das kleine Hausgärtchen und jetzt stand sie in der schwarzen Seitengassen. Kein Besinnen! Und sie hastete weiter.
    Wohin?
    Ihr war zumuthe wie Jemandem der träumt, im Traume handelt, und der doch auch weiß, dass er träumt…
    Wohin?
    Sie hob das Auge.
    Sie war weit, kaum dass sie die Gasse

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