Es bleibt natürlich unter uns
er gesagt? Er nickte Lothar Lockner zu, als könne er ihm versichern, daß seine Wahl für einen guten Geschmack zeuge und daß er keine Enttäuschung erleben werde.
„Chefportion!“ flüsterte er der Kellnerin zu, laut genug, daß das ganze Lokal es hören konnte. „Und eine Halbe, wie? Hell oder dunkel? Hell also...! Und mir bringst einen Schoppen mit, Wally!“
Auf solch einen freundlichen Empfang war Lothar Lockner nicht gefaßt gewesen. Er hatte geglaubt, Herr Böhlke hätte ihm als seinem Nachfolger das Kraut in Aldenberg gründlich versalzen. Er machte daraus auch dem Pflanz gegenüber kein Hehl, aber Herr Pflanz hob überrascht die Augenbrauen.
„Mein Freund Emil Böhlke? Lieber Herr, der Mann war in Ordnung. Durchaus in Ordnung. Er war ein wenig ein Schlitzohr, gewiß... Aber ich bin mit meinem Freund Emil recht gut ausgekommen. Und ich muß sagen, wenn man ihn mal gebraucht hat: Emil war da!“
Das Gulasch kam. Wirklich eine riesige Portion, ein Spezialgulasch vom ,Lamm’ mit mächtigen Fleischbrocken und einer kleinen Debreziner Wurst, schwimmend in einer feurig fetten Soße, die einen Berg mehlig zarter Kartoffeln freundlich umspülte. Eine richtige Protektionsportion, denn wenn das die normale Menge gewesen wäre, die man im ,Lamm’ den Gästen für einsvierzig vorsetzte, dann wäre der Wirt schon vor Jahr und Tag pleite gegangen. Lothar Lockner wurde hellhörig. Der letzte Satz vom Pflanz klingelte unangenehm in den Ohren.
„Sind Sie im Stadtrat, Herr Pflanz?“ fragte er und blies gegen den dampfenden Fleischbrocken, den er auf die Gabel gespießt hatte.
„Nein — warum fragen Sie?“
„Ich meinte nur so...“
Der Pflanz spitzte den Mund, die dichten rötlich blonden Borsten, die er auf der Oberlippe trug, sträubten sich auf und stachen ihm in die schwarzen Nasenlöcher. Er beugte sich leicht vor: „Ich bin nicht im Stadtrat, das fehlte mir noch pfeilgrad! Aber ich bin Vorstand von der Metzgerinnung, und Präses vom Reiterverein, und Ehrenvorsitzender vom Turnerbund, und im Vorstand vom Gesangverein und von der Handwerkergilde. Und da ist mal hier eine Rede zu halten und mal da... Nicht, daß ich direkt aufs Maul gefallen bin, werter Herr, aber es ist ein Unterschied, ob einer den Pleschl am Stammtisch rührt oder auf ‘nem Podium steht. Und in solchen Fällen war der Böhlke Emil da! Verstehen Sie, Herr... wie war doch gleich der werte Name?“
„Lockner — und ich hab Sie schon verstanden.“
„So — na, dann lassen Sie es sich gut schmecken, Herr Lockner. Ich muß mal schaun, was die Weiberleut in der Küche treiben. Sie wissen ja, wenn man nicht überall die Nase drin hat — nicht mal auf die eigenen Leut kannst dich verlassen.“ Er erhob sich, winkte Lothar Lockner mit der erloschenen Zigarre wie mit einem Marschallstab zu und machte rasch eine kleine Runde durchs Lokal, um seine anderen Gäste zu begrüßen. Immer dreifach: Grüß Gott, hab die Ehre, ergebenster Diener...
Ein ganz durchtriebener Bursche, der es faustdick hinter den Ohren hatte und hinter jovialer Grobheit und dümmlichem Augenaufschlag eine zähe Schlauheit versteckte. Wie glatt er die Kurve bekommen hatte! Möglich, daß Herr Böhlke ihm seine Kriegervereinsreden zugeschliffen oder sogar entworfen hatte. Aber da waren noch andere Hintergründe... Ganz umsonst war sicherlich auch die Gulaschportion für den Nachfolger nicht so groß ausgefallen. Aber vorläufig war kein Grund vorhanden, sich das Essen nicht schmecken zu lassen. Er trank sein Bier in sparsamen Schlucken, denn er hatte nicht die Absicht, sich noch ein zweites Glas zu leisten.
Ein kleiner Stein war ihm bei dem Nachmittagsbesuch seines Chefs vom Herzen gefallen; Herr Lobmüller hatte ihn rundheraus gefragt, ob er einen Teil seines Gehalts auf Vorschuß haben wolle. Um keinen schlechten Eindruck zu machen, hatte er erwidert, daß er im Augenblick noch bei Kasse sei, daß er aber auf das freundliche Angebot in den nächsten Tagen zurückkommen werde. Er hatte sich dabei erboten, seinen Posten sofort anzutreten, aber Herr Lobmüller benötigte seine Dienste nicht so dringend und riet ihm, in den zwei Tagen bis zu seinem Eintritt in die Zeitung lieber Lokalkenntnisse zu sammeln. Er hatte ihm eine kleine, in seinem Verlag erschienene Broschüre über Aldenberg zugesteckt, ein Elaborat von Herrn Eugen Vollmalz, dem Rektor der Volkshochschule, der hier die Geschichte der Stadt historisch zuverlässig und von liebevollem Lokalpatriotismus
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