Es blieb nur ein rotes Segel
sehr schön und weit weg von dieser Welt.
Der Zarewitsch hielt ihr das Fläschchen unter die Nase und streichelte mit einer Zartheit, die erstaunte, ihre Wangen.
»Verzeihen Sie, Kaiserliche Hoheit!« stammelte Tamara Jegorowna. »Wie dumm! Wie dumm! Das ist das erstemal. Ich weiß nicht, wie ihr so etwas zustoßen konnte …«
Im Hintergrund, an der Wand, zupfte der Zwerg Urasalin am Uniformrock des jungen Leutnants der Garde. »Brüderchen«, flüsterte er. Im Gegensatz zu seinem abscheulichen Körper hatte er eine normale, leicht singende Stimme. »Gefällt sie dir?«
»Was hat das zu bedeuten?« antwortete der Leutnant steif.
»Kümmere dich um sie, Brüderchen. Nikolai Alexandrowitsch macht mir Sorge. Ich kann in seinen Augen wie in einem Buch lesen. Und gerade eben hat er hineingeschrieben: Ich liebe sie! – Das darf nicht sein, Brüderchen. Nikolai Alexandrowitsch ist Rußland …«
III
Die Gegend um den Heuplatz – Sennaja Ploschtschad – und die angrenzenden Gassen und Straßen galten als die finsterste und gefürchtetste Gegend St. Petersburgs. Hier, in den verwinkelten Gäßchen, die mehr Höhlengängen glichen, in den verschachtelten Häusern mit ihren Hinterhöfen, auf den überdeckten Märkten und Trödlerständen, wimmelte es von Einarmigen und Holzbeinigen, Einäugigen und Narbengesichtern. Den wenigsten war ein solches Leiden angeboren, meistens handelte es sich um Andenken an wilde Schlägereien, Räubereien, Abenteuerfahrten in die unbekannte Wildnis Sibiriens oder um Rückstände nicht ausgeheilter Krankheiten. Woher auch das Geld für einen Arzt nehmen?
Irgendwann war man geboren worden, in einem schmutzigen Bett mit einem Strohsack, irgendwie war man aufgewachsen zwischen stinkendem, faulendem Unrat, Ratten, streunenden Katzen, Bergen von Abfällen und Kot, hatte sich durchgeschlagen mit niedrigster Arbeit, Diebstahl, Betrügereien und Bettelei und war zu dem geworden, was man nun war – ein Leben lang: Abschaum der Menschheit, der dahinvegetierte und wie die wilden Hunde von dem Abfall der besser gesegneten Menschen lebte.
Hier, in diesem Stadtviertel der ›Toten Seelen‹, der Nachtasyle und der nächtlichen Morde, der Hurenhäuser und Spielkneipen, der Hehlerverstecke und der Diebeszentralen hatte vor Jahren der berühmte russische Dichter Feodor Michailowitsch Dostojewski seinen gewaltigen Roman ›Schuld und Sühne‹ geschrieben. Hier, in der Stoliarnystraße hatte er gelebt und seinen Romanhelden Rodin Raskolnikow im Hause Nummer 14 wohnen lassen. Und hier, in der engen Gasse Krasnogary, nahe dem Judenviertel von Zabalkanski, in der ersten Etage über dem stinkenden Trödlerladen des ehrenwerten Tichon Benjaminowitsch Minajew wohnte – von allen gefürchtet – Rosalia Antonowna Bondarewa.
Wirklich, sie war gefürchtet: Eine Marktfrau war sie, die auf dem überdeckten Markt von Sennaja Ploschtschad hinter einem kleinen Gemüsestand hockte und sich auf Gurken, Zwiebeln und Rüben spezialisiert hatte. Sie war groß und breithüftig, mit einem Riesenbusen und krausem blondem Haar, das jetzt deutlich ins Weiß schimmerte. Wenn sie so auf ihrem Holzhocker da saß, die Beine gespreizt, unter der Schürze drei lange Röcke und eine Wolljacke, ganz gleich, ob es klirrender Frost oder brütende Hitze war, das Kopftuch weit in den Nacken geschoben und die roten Hände auf die Schenkel gestützt, dann wußte jeder, der an ihren Stand trat, daß man vorsichtig sein mußte.
Ein paarmal hatte es Streit gegeben, aber nur in den ersten Jahren. Ein pockennarbiger Mensch, den man Piotr, den Stecher, nannte, vollführte einmal mit einer ihrer wirklich schönen großen Gurken unflätige Gebärden. Mit einem Holzknüppel schlug ihn Rosalia so zu Boden, daß man ihn wegtragen mußte und Piotr vier Wochen mit einem Kopfverband und starken Gleichgewichtsstörungen umherwankte.
Auch einen Überfall auf ihre Tageskasse überlebte sie triumphal. Drei junge Burschen lauerten ihr auf, als sie nach Hause ging und griffen sie von drei Seiten an. Hätten sie es doch nie getan! Der erste lief in ihre Faust, in der eine geradezu rätselhafte Kraft steckte, der zweite erhielt einen Tritt in den Unterleib, und der dritte, ehe er noch an den Lederbeutel mit den Rubelchen greifen konnte, den die Bondarewa an einem Gürtel unter der schützenden Wölbung ihres Busens trug, erhielt einen Stoß mitten in sein Gesicht, daß er glaubte, ein wilder Stier habe ausgeschlagen.
Mit den Jahren wurde Rosalia Antonowna
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