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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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Kommissariat mitbekäme, daß der Chef seine Zeit und die seiner Inspektoren mit dem Mann mit den Kreisen vergeudete. Und er versuchte sich darauf vorzubereiten.
    »Gestern die Maus«, sagte Danglard, als ob er mit sich selber reden würde, während er seine künftige Rede ausprobierte, mit der er seinen Kollegen entgegentreten würde, »und dann diese Nacht die Katze. Das ist schon ein bißchen übel. Aber da gab es auch das Uhrarmband. Und Conti hat recht, das Uhrarmband ist nicht tot.«
    »Doch, es ist tot«, sagte Adamsberg. »Natürlich ist es tot! Das gleiche machen wir morgen früh noch mal, Danglard. Ich treffe mich mit Vercors-Laury, dem Psychiater, der die Sache zur Sprache gebracht hat. Seine Meinung interessiert mich. Aber vermeiden Sie es, darüber zu reden. Je später man sich über mich lustig macht, desto besser.«
    Bevor er aufbrach, schrieb Adamsberg an Mathilde Forestier. Er hatte heute morgen keine Stunde gebraucht, um ihren Charles Reyer zu finden, nachdem er mit den wichtigsten Institutionen telefoniert hatte, die in Paris Blinde beschäftigten, Instrumentenstimmer, Verlage, Konservatorien. Reyer war seit ein paar Monaten in der Stadt, er wohnte in einem Zimmer in der Nähe des Pantheon, im Hotel des Grands Hommes. Adamsberg schickte Mathilde all diese Informationen, dann vergaß er sie.
     
    ***
     
    René Vercors-Laury ist nicht gerade großartig, sagte sich Adamsberg sofort. Er war enttäuscht von ihm, weil er sich immer viel erhoffte und der Absturz danach immer sehr schmerzhaft war.
    Nein, ganz und gar nicht großartig. Und außerdem fiel er einem auch noch auf die Nerven. Er unterbrach seine Sätze mit Sachen wie: »Können Sie mir folgen? Sie folgen mir doch?« oder Erklärungen wie: »Sie werden mit mir übereinstimmen, daß der sokratische Selbstmord nur ein Modell ist«, wobei er Adamsbergs Antwort nicht abwartete, da diese Formulierungen nur dazu dienten, sich aufzuplustern. Und Vercors-Laury vergeudete eine unvorstellbare Zeit und eine unvorstellbare Anzahl von Sätzen damit, sich aufzuplustern. Der dicke Arzt lehnte sich in seinem Sessel zurück, die Daumen in seinen Gürtel gehakt, und schien intensiv nachzudenken, dann schoß er ruckartig nach vorne, um einen Satz einzuleiten: »Kommissar, dieser Patient ist kein gewöhnlicher...«
    Davon abgesehen war der Psychiater natürlich kein Dummkopf, das war klar. Nachdem die erste Viertelstunde ihrer Unterhaltung vorüber war, lief es auch besser, noch immer nicht großartig, aber besser.
    »Dieser Patient«, begann Vercors-Laury, »gehört nicht zur Kategorie der ›gewöhnlichen‹ Zwangsneurotiker, wenn Sie denn wirklich meine Meinung als Arzt hören wollen. Die Zwangsneurotiker folgen per definitionem einem Zwang, das darf man nicht vergessen, können Sie mir folgen?«
    Vercors-Laury war nicht unzufrieden mit diesem Ausdruck. Er fuhr fort: »Und weil sie zwanghaft handeln, sind die Zwangsneurotiker exakt, pedantisch und Ritualisten. Sie folgen mir doch? Und was findet man nun bei unserem Patienten? Keinerlei Ritual bei der Wahl des Gegenstandes, keinerlei Ritual in der Wahl des Viertels, keinerlei Ritual in der Wahl des Zeitpunktes, keinerlei Ritual bei der Anzahl der Kreise pro Nacht... So! Bemerken Sie den gewaltigen Bruch? Alle Parameter, die bei seinem Tun beteiligt sind, Gegenstand, Ort, Uhrzeit, Menge, variieren, als ob das immer ein bißchen hiervon oder davon abhinge. Nun hängt aber bei einem Zwangsneurotiker nichts hiervon oder davon ab, Kommissar. Können Sie mir folgen? Dann besteht sogar das Charakteristische eines Zwangsneurotikers. Der Zwangsneurotiker wird dieses oder jenes eher seinem Willen unterwerfen, als sich von ihm bestimmen lassen. Keine Banalität des Alltags kann stark genug sein, um mit dem unveränderlichen Ablauf seines zwanghaften Handelns zu konkurrieren. Ich weiß nicht, ob Sie mir folgen?«
    »Dieser Zwangsneurotiker ist also nicht gewöhnlich? Könnte man sogar sagen, daß er gar kein Zwangsneurotiker ist?«
    »Das ist richtig, Kommissar, das könnte man fast sagen. Und das eröffnet ein weites Feld von Fragen: Wenn es sich nicht um einen Zwangsneurotiker in der pathologischen Bedeutung des Wortes handelt, dann deshalb, weil die Kreise ein Ziel verfolgen, das von ihrem Urheber präzise geplant ist, dann deshalb, weil unser Patient sich aufrichtig für die Dinge interessiert, die er auf diese Weise mit Aufmerksamkeit bedenkt, als ob er uns etwas vorführen würde. Folgen Sie mir? Um uns zum Beispiel

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