Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord
kleine Anzeige gegen Sie gegeben.«
Mathilde hatte sich auf eine Bank im hinteren Teil des Restaurants gesetzt, und für Charles deutete nichts in ihrer Stimme darauf hin, daß diese Nachricht sie verunsicherte.
»Also wirklich«, fuhr Charles hartnäckig fort, »es fehlt nicht viel, und die Bullen denken, daß Sie dem Mörder geholfen haben. Sie waren zweifellos die einzige, die ihm Zeit und Ort hätte angeben können, damit er einen günstigen Kreis für seinen Mord fand. Schlimmer noch, Sie könnten den Mord sogar selbst begangen haben. Mit Ihren blöden Schrullen werden wir noch ziemlichen Ärger bekommen, Mathilde.«
Mathilde lachte. Sie bestellte sich bergeweise zu essen. Sie hatte wirklich Hunger.
»Es ist toll«, sagte Mathilde. »Mir passieren ständig ungewöhnliche Dinge. Das ist mein Los. Da macht eine Sache mehr oder weniger nicht viel aus... Der Abend im Dodin Bouffant lag sicher in einer Phase 2, und ich habe sicher viel getrunken und viele Dummheiten erzählt. Ich habe übrigens keine besonders klare Erinnerung mehr an den Abend. Sie werden sehen, Adamsberg wird das sehr gut verstehen, und er wird sich nicht damit quälen, bis ans Ende der Welt das Unmögliche zu suchen.«
»Ich glaube, Sie unterschätzen ihn, Mathilde.«
»Ich glaube nicht«, erwiderte Mathilde.
»Doch. Ein Haufen Leute unterschätzt ihn, aber gewiß nicht Danglard, und auf jeden Fall nicht ich. Ich weiß, Mathilde, Adamsbergs Stimme ist wie ein Traum, sie wiegt einen, sie bezaubert einen und schläfert einen ein, aber er selbst schläft nicht dabei ein. Seine Stimme transportiert weit entfernte Bilder und unschlüssige Gedanken, aber sie strebt unerbittlich nach Erfüllung, von der er selbst vielleicht als letzter etwas weiß.«
»Kann ich trotzdem essen?« fragte Mathilde.
»Natürlich. Hören Sie mir gut zu, Adamsberg greift nicht an, aber er verändert Sie, er umkreist Sie, er kommt von hinten, er entschärft, und am Ende entwaffnet er Sie. Er könnte weder gehetzt noch gepackt werden, nicht einmal von Ihnen, Königin Mathilde. Er wird Ihnen durch diese Sanftheit oder diese plötzliche Gleichgültigkeit immer entgehen. Für Sie, für mich, für jeden anderen könnte er wie eine Frühlingssonne wohltuend oder verhängnisvoll sein. Alles hängt davon ab, wie man sich ihr aussetzt. Für einen Mörder ist er ein verdammt harter Gegner, das sollten Sie wissen. Wenn ich gemordet hätte, wäre mir ein Bulle lieber, bei dem ich hoffen könnte, eine Reaktion hervorzurufen, ein Bulle, der nicht erst wie Wasser fließt, um dann plötzlich hart zu werden wie Stein. Er fließt und ist hartnäckig, treibend strebt er auf ein genaues Ziel zu, auf eine Trichtermündung. Darin kann ein Mörder natürlich ertrinken.«
»Ein Ziel? Es hat keinen Sinn, ein Ziel zu haben. Das ist was für Kinder«, sagte Mathilde.
»Vielleicht zielt er auf den verdammten Hebel, der die Erde bewegt, vielleicht auf das Auge - noch ein Auge, Mathilde -, das verdammte Auge des Zyklons, dort, wo ganz was anderes ist, wo es vielleicht Wissen, wo es zerbrechliche Ewigkeit gibt. Haben Sie noch nie daran gedacht, Mathilde?«
Mathilde hatte aufgehört zu essen.
»Sie verblüffen mich wirklich, Charles. Sie sagen das alles mit der Sicherheit und der Metaphorik eines Pfarrers, aber Sie haben ihn heute morgen gerade mal eine Stunde reden hören.«
»Ich habe mich in eine Art Hund verwandelt«, brummte Charles. »Ein Hund, der mehr hört als die Menschen und mehr spürt als die Menschen. Ein gemeiner Hund, der tausend Kilometer in gerader Linie zurücklegen kann, um zu seinem Haus zurückzukehren. Auch ich erfahre Dinge, auf anderen Wegen als Adamsberg. Da enden unsere Gemeinsamkeiten. Ich halte mich für den intelligentesten Menschen auf der Erde, und meine Stimme ist metallisch und quietscht. Sie schneidet und verbiegt, und mein Gehirn funktioniert wie eine gemeine Maschine, die Daten aufbereitet und alles über alles weiß. Und mit Ziel und Mündung und so weiter kenne ich mich nicht mehr aus. Keine Naivität oder keine Kraft mehr, mir vorzustellen, daß Zyklone Augen haben. Diesen ganzen Quatsch habe ich sein lassen, dafür bin ich viel zu sehr von der Engherzigkeit und den Rachegefühlen verlockt, die sich mir bieten, um mir mein Unvermögen täglich leichter zu machen. Aber Adamsberg muß sich nicht zerstreuen, um zu leben, verstehen Sie?
Also lebt er, übrigens indem er alles vermischt, indem er die großen Ideen und die kleinen Details vermischt, indem er
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