Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord
die Unentschlossenheit von Adamsberg.
»Wer von uns beiden, Herr Kommissar«, fragte Charles, »tappt eigentlich im dunkeln?«
Adamsberg lächelte.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er.
»Nach dieser Geschichte mit dem anonymen Anruf vermute ich, daß ich mich weiterhin zur Verfügung halten muß, wie man so sagt?« fuhr Charles fort.
»Ich weiß nicht so recht«, erwiderte Adamsberg. »Jedenfalls muß Sie im Augenblick nichts bei Ihrer Arbeit stören. Machen Sie sich keine Sorgen.«
»Meine Arbeit macht mir keine Sorgen, Kommissar.«
»Ich weiß. Ich sage das einfach so.«
Charles hörte das Geräusch eines über ein Blatt gleitenden Bleistifts. Er vermutete, daß der Kommissar beim Reden zeichnete.
»Ich weiß nicht, wie ein Blinder es anstellen könnte zu morden. Aber ich bin verdächtig, nicht wahr?«
Adamsberg machte eine ausweichende Geste.
»Sagen wir, daß Sie den Moment, in dem Sie zu Mathilde Forestier gezogen sind, schlecht gewählt haben. Sagen wir, daß man sich aus dem einen oder anderen Grund kürzlich für sie interessiert haben kann und für das, was sie weiß - vorausgesetzt allerdings, sie hat uns alles gesagt. Danglard wird Ihnen das erklären. Danglard ist verdammt intelligent, Sie werden sehen. Es ist beruhigend, neben ihm zu arbeiten. Sagen wir auch noch, daß Sie ein bißchen böser sind als jeder beliebige andere, was die Sache nicht leichter macht.«
»Wie kommen Sie darauf?« fragte Charles lächelnd, mit einem fiesen Lächeln, dachte Adamsberg.
»Madame Forestier sagt es«, erwiderte er.
Zum ersten Mal war Charles verwirrt.
»Ja, das hat sie gesagt«, wiederholte Adamsberg. »›Er ist boshaft, eine richtige Giftnudel, aber ich mag ihn.‹ Und Sie mögen sie ebenfalls. Denn Mathilde zu fassen zu kriegen, Monsieur Reyer, täte richtig gut, das würde ein dunkles Funkeln in manche Augen bringen, glänzend wie poliertes Leder. Diesen Effekt würde es bei einer ganzen Menge Leute bewirken. Danglard mag sie nicht, doch, doch Danglard, das stimmt. Er ist ihr böse, und die Gründe dafür kann er wiederum besser selbst erklären. Er ist sogar in Versuchung, ihr Unrecht zu tun. Er wird es schon merkwürdig finden, daß besagte Mathilde bereits lange vor dem Mord ins Kommissariat gekommen ist, um mir von dem Mann mit den Kreisen und dem faulen Apfel zu erzählen. Und er hat recht, das ist sehr eigenartig. Aber alles ist eigenartig. Sogar der faule Apfel. Auf jeden Fall können wir nur abwarten.«
Adamsberg machte sich wieder ans Zeichnen.
»Genau das«, bemerkte Danglard. »Warten wir ab.«
Er war nicht besonders guter Laune. Er begleitete Charles hinaus auf die Straße.
Brummend ging er den Gang zurück, noch immer einen Finger an die Stirn gepreßt. Ja, da sein großer Körper die Form eines Kegels hatte, war er Mathilde, die der Typ Frau war, die nicht mit kegelförmigen Körpern schlafen, böse. Darum hätte er so sehr gemocht, daß sie wenigstens an irgendwas Schuld war. Und die Sache mit dem Zeitungsartikel brachte sie ganz schön in Schwierigkeiten. Das würde die Kleinen garantiert interessieren. Aber seit dem Irrtum mit dem jungen Mädchen aus dem Juweliergeschäft hatte er sich geschworen, nur noch mit Beweisen und Tatsachen zu arbeiten und nicht mehr mit diesem Plunder, der einem einfach so durchs Hirn fährt. Was Mathilde betraf, mußte er also mit Bedacht vorgehen.
***
Charles war den ganzen Vormittag genervt. Seine Finger glitten über die Perforierungen der Bücher, wobei sie ein wenig zitterten.
Mathilde war ebenfalls genervt. Sie hatte den Mann mit den Sonnenblumen verloren. Ziemlich idiotisch, er war in ein Taxi gestiegen. Verwirrt und enttäuscht stand sie mitten auf der Place de l'Opera. In Phase l hätte sie sich sofort eine Halbe bestellt. Aber in einer Phase 2 sollte man sich bloß nicht allzuviel daraus machen. Jemand anderem auf gut Glück folgen? Warum nicht? Andererseits war es schon fast Mittag, und sie war nicht weit von Charles' Büro entfernt. Sie könnte bei ihm vorbeigehen und ihn zum Essen einladen. Sie war heute morgen unter dem Vorwand, in Phase 2 könne man alles sagen, was einem durch den Kopf geht, etwas grob zu ihm gewesen, und es tat ihr leid, sollte es dabei bleiben.
Gerade als Charles aus dem Gebäude in der Rue Saint-Marc trat, kam sie und berührte ihn an der Schulter.
»Ich habe Hunger«, sagte Mathilde.
»Das trifft sich gut«, erwiderte Charles. »Alle Bullen der Welt denken an Sie. Heute morgen hat es so was wie eine
Weitere Kostenlose Bücher