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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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die Eindrücke und die Wirklichkeit vermischt, indem er die Wörter und die Gedanken vermischt. Indem er den Glauben der Kinder und die Philosophie der Alten verwechselt. Aber er ist wahr, und er ist gefährlich.«
    »Sie verblüffen mich«, wiederholte Mathilde. »Ich kann nicht gerade sagen, daß ich davon geträumt hätte, einen Sohn wie Sie zu haben, weil ich mir ständig verdammte Sorgen gemacht hätte, aber Sie verblüffen mich. Ich beginne zu verstehen, warum Ihnen die Fische völlig egal sind.«
    »Sie haben sicher recht, Mathilde, indem Sie irgend etwas Liebenswertes an diesen schleimigen Tierchen mit den runden Augen finden, die nicht einmal dazu taugen, einen Menschen zu ernähren. Mir wäre es egal, wenn alle Fische sterben würde.«
    »Sie besitzen die Gabe, mir für Phase 2 unmögliche Ideen zu vermitteln. Selbst Ihnen bekommt das schlecht, Sie sind ja schweißgebadet. Machen Sie sich also nicht so große Sorgen wegen Adamsberg. Jedenfalls ist er nett, nicht wahr?«
    »Sicher«, sagte Charles, »er ist nett. Er sagt viele nette Dinge. Und ich verstehe nicht, warum Sie das nicht beunruhigt.«
    »Sie verblüffen mich«, wiederholte Mathilde ein weiteres Mal.
     
    ***
     
    Sofort nach dem Mittagessen beschloß Adamsberg, etwas zu versuchen.
    Angeregt von dem kleinen Kalender, den man bei der Toten gefunden hatte, kaufte er ein Notizbuch, das er in die hintere Tasche seiner Hose stecken konnte. Wenn er einen interessanten Gedanken hätte, könnte er ihn auf diese Weise notieren. Nicht, daß er sich davon Wunder erhoffte. Aber er sagte sich, daß, wenn das Notizbuch einmal voll sein würde, der Gesamteindruck durchaus passend sein und ihm einen Zugang zu sich selbst verschaffen könnte.
    Er hatte das Gefühl, noch nie so in den Tag hinein gelebt zu haben wie jetzt. Er hatte das schon viele Male bemerkt: Je mehr drängende Sorgen er hatte, die ihm mit ihrer Dringlichkeit und ihrer Bedrohlichkeit zusetzten, desto eher stellte sein Gehirn sich tot. Er machte sich dann daran, von kleinen Nichtigkeiten zu leben, unbeteiligt und unbekümmert, während er sich von allen Gedanken und Eigenschaften frei machte, mit leerer Seele und leerem Herzen, den Geist auf die kürzesten Wellenlängen fixiert. Er kannte diesen Zustand, dieses Ausmaß an Gleichgültigkeit, das seine gesamte Umgebung entmutigte, gut, aber er kam schlecht damit zu Rande. Denn in seinem unbekümmerten, von den Problemen des Planeten erlösten Zustand war er ruhig und eher glücklich. Aber mit fortschreitender Zeit verursachte die Gleichgültigkeit auf unauffällige Weise derartige Verwüstungen, daß darin alles verblaßte. Die Menschen wurden für ihn durchsichtig, wurden alle identisch, weil sie ihm weit entfernt schienen. Bis er schließlich, an irgendeinem Ende seines unbestimmten Widerwillens angelangt, an sich selbst keinerlei Dichte, keinerlei Bedeutung mehr spürte und sich vom Alltag der anderen treiben ließ und um so stärker bereit war, ihnen jede Menge kleiner Gefälligkeiten zu erweisen, als er ihnen vollständig fremd wurde. Der Mechanismus seines Körpers und seiner automatisch erfolgenden Worte sorgte dafür, daß die Tage normal weitergingen, aber er war für niemanden mehr erreichbar. Derart weitgehend seiner selbst beraubt, machte sich Adamsberg jedoch keine Sorgen und sagte sich dazu nichts mehr. Dieses Desinteresse an allen Dingen hatte nicht einmal den panischen Beigeschmack der Leere, diese Apathie der Seele war nicht einmal mit den Schrecken der Langeweile verbunden.
    Aber verdammt, war das schnell gekommen.
    Er erinnerte sich genau an all die Turbulenzen, die ihn gestern noch gebeutelt hatten, als er dachte, Camille sei gestorben. Und jetzt schien ihm bereits das Wort »Turbulenz« jeglichen Sinnes zu entbehren. Was mochten nur Turbulenzen sein? Camille war tot? Gut und schön, und was weiter? Madeleine Châtelain mit durchschnittener Kehle, der Mann mit den Kreisen war weiter in Freiheit, Christiane, die ihn bedrängte, Danglard, der bekümmert war - mit all dem konnte man zurechtkommen, aber wozu?
    Also setzte er sich ins Café, zog sein Notizbuch heraus und wartete. Er überwachte die Gedanken, die sich in seinem Kopf bewegten. Sie schienen ihm schon eine Mitte zu haben, aber weder Anfang noch Ende. Wie also sie niederschreiben? Unwillig, aber noch immer gelassen, schrieb er nach einer Stunde:
    Ich habe nichts zu denken gefunden.
    Dann rief er vom Café aus bei Mathilde an. Clémence Valmont nahm den Anruf entgegen. Die

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