Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord
aufleben läßt.«
Ziemlich wütend legte Danglard auf. Von Mathilde Forestier abgesehen, hatte sich vergangene Nacht niemand ruhig verhalten im Haus in der Rue des Patriarches. Er schickte Margellon nach Hause und machte sich an die Frage des Testaments von Delphine Le Nermord. Er wollte überprüfen, was sie ihrer Schwester hinterließ. Zwei Stunden später hatte er heraus, daß es kein Testament gab. Delphine Le Nermord hatte keinerlei schriftliche Verfügung vorgenommen. Es gibt so Tage, an denen einem alles entgleitet.
Danglard ging in seinem Büro auf und ab und dachte wieder einmal, daß die Sonne, dieser verdammte Stern, in vier oder fünf Milliarden Jahren explodieren würde, und er begriff nicht, warum diese Explosion ihn immer derartig in Depressionen stürzte. Er hätte sein Leben dafür gegeben, daß die Sonne in fünf Milliarden Jahren einfach stillhalten würde.
Adamsberg kam gegen Mittag zurück und schlug ihm vor, mit ihm zu Mittag zu essen. Das kam nicht häufig vor.
»Es wird brenzlig für den Byzantinisten«, sagte Danglard. »Entweder hat er sich getäuscht, oder er hat gelogen, was die Erbschaft angeht: Es gibt kein Testament. Was bedeutet, daß alles dem Ehemann zufällt. Das sind Wertpapiere, einige Hektar Wald und vier Häuser in Paris, zusätzlich zu dem, das er bewohnt. Er selbst hat keinen Sou, nur sein Einkommen als Professor und seine Autorenhonorare. Stellen Sie sich vor, seine Frau hätte sich scheiden lassen wollen, und alles wäre jemand anderem zugefallen.«
»So war es, Danglard. Ich habe den Liebhaber getroffen. Es ist wirklich der Typ von dem Foto. Es stimmt, daß er riesig ist und ein unbedeutendes Hirn hat. Außerdem ist er Pflanzenfresser und stolz darauf.«
»Vegetarier«, schlug Danglard vor.
»Genau, Vegetarier. Er leitet mit seinem Bruder, der ebenfalls Pflanzenfresser ist, eine Werbeagentur. Sie haben gestern abend gemeinsam bis zwei Uhr morgens gearbeitet. Der Bruder bestätigt es. Also ist er außen vor, es sei denn, der Bruder lügt. Aber der Liebhaber scheint über Delphines Tod verzweifelt. Er hat sie zur Scheidung gedrängt, nicht weil Le Nermord ein Hindernis für ihn gewesen wäre, sondern weil er Delphine einer Tyrannei entreißen wollte, wie er sagte. Anscheinend hat Augustin-Louis sie weiterhin für sich arbeiten lassen, sie all seine Manuskripte durchsehen und abschreiben lassen, seine Aufzeichnungen ordnen lassen, und Delphine wagte nichts zu sagen. Sie hat erklärt, es wäre ihr recht, es würde ›ihr Gehirn ein wenig in Übung halten‹, aber der Liebhaber ist sich sicher, daß das nicht ganz so harmlos war, daß sie vor lauter Angst vor ihrem Mann schier umkam. Aber jetzt war Delphine endlich fast entschlossen, die Scheidung einzureichen. Sie wollte zumindest das Gespräch mit Augustin-Louis suchen. Es ist nicht bekannt, ob sie es getan hat oder nicht. Das heißt, die Gegnerschaft der beiden Männer springt ins Auge. Dem Liebhaber wäre durchaus daran gelegen, Le Nermord zu Fall zu bringen.«
»All das kann stimmen«, sagte Danglard.
»Das glaube ich auch.«
»Le Nermord hat kein Alibi für die drei Mordnächte. Wenn er seine Frau loswerden wollte, bevor sie aufbegehrte, kann er die Gelegenheit genutzt haben, die ihm der Mann mit den Kreisen bot. Er ist nicht besonders mutig, das hat er uns selbst gesagt.
Nicht der Typ, der Risiken eingeht. Um den Verdacht auf den Zwangsneurotiker zu lenken, hat er zwei zufällige Morde begangen, damit der Eindruck einer Serie entsteht, und dann hat er seine Frau umgebracht. Die Sache ist erledigt. Die Bullen suchen nach dem Mann mit den Kreisen und lassen ihn in Ruhe. Und er erbt.«
»Eine ziemlich grobe Falle, nicht? Man muß die Bullen schon für ziemliche Idioten halten.«
»Zum einen findet man bei den Bullen genauso viele Idioten wie überall sonst. Zum anderen könnten schlichte Geister Gefallen an dem Trick finden. Ich gebe zu, daß Le Nermord keinen schlichten Eindruck macht. Aber man kann Aussetzer haben. Das kommt vor. Vor allem, wenn man so ein Ding aus Leidenschaft plant. Und was ist mit Delphine Le Nermord? Was machte sie zu dieser Uhrzeit draußen?«
»Der Liebhaber sagt, daß sie eigentlich den ganzen Abend zu Hause bleiben wollte. Er war verwundert, daß sie nicht da war, als er nach Hause kam. Er hat gedacht, sie wäre vielleicht zu dem Tabakladen an der Ecke Bertholet gegangen, der noch bis spät auf hat, um Zigaretten zu holen. Da ist sie häufig hin, wenn sie keine mehr hatte.
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