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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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immer seltener, und schließlich ißt man wieder miteinander, ganz freundlich, ganz traurig. Sie kennen das alles in- und auswendig, meine Herren, wir werden kein Buch draus machen, nicht wahr? Delphie war nicht besser als jede andere und ich nicht mutiger als jeder andere. Ich wollte sie nicht ganz verlieren. Also war es besser, sie so zu nehmen, wie sie allmählich wurde. Ich gestehe, daß der letzte Liebhaber, der Einfältige, es bei mir wirklich schwer hatte. Als täte sie es mit Absicht, hat sie sich für den Langweiligsten von allen begeistert und beschlossen auszuziehen.«
    Er hob die Arme und ließ sie auf seine Oberschenkel fallen.
    »So«, sagte er. »Das reicht. Und außerdem ist es jetzt zu Ende.«
    Er kniff die Augenlider zusammen und füllte seine Pfeife erneut mit hellem Tabak.
    »Sie müßten uns detailliert Ihren Zeitplan von heute abend schildern. Das ist unerläßlich«, sagte Danglard, noch immer mit der gleichen Schlichtheit.
    Le Nermord sah sie einen nach dem andern an.
    »Das verstehe ich nicht. War es denn nicht dieser Verrückte, der sie...?«
    »Wir wissen gar nichts«, erwiderte Danglard.
    »Nein, nein, meine Herren, Sie täuschen sich. Alles, was der Tod meiner Frau mir einbringt, ist Leere und Verzweiflung. Und außerdem, weil Sie sich sicher dafür interessieren: Den größten Teil ihres Geldes - sie besaß viel - und sogar das Haus hier erbt ihre Schwester. So hatte Delphie die Dinge entschieden. Bei ihrer Schwester war es finanziell immer ziemlich eng.«
    »Trotzdem brauchen wir Ihren Zeitplan«, wiederholte Danglard. »Bitte.«
    »Wie Sie gesehen haben, gibt es hier im Haus eine Sprechanlage. Einen Hausmeister gibt es nicht. Wer könnte Ihnen sagen, ob ich gelogen habe oder nicht? Also... Bis etwa elf Uhr habe ich den Plan für meine Seminare im kommenden Studienjahr ausgearbeitet. Sehen Sie, da liegen die Unterlagen, der Stapel auf meinem Schreibtisch. Dann bin ich ins Bett gegangen, habe gelesen und schließlich geschlafen, bis Sie geklingelt haben. Das ist nicht überprüfbar.«
    »Bedauerlich«, sagte Danglard.
    Adamsberg ließ ihn jetzt das Gespräch führen. Danglard war für die klassischen und unangenehmen Fragen besser als er. Während dieser Zeit ließ er Le Nermord, der ihm gegenüber saß, nicht aus den Augen.
    »Ich verstehe«, sagte Le Nermord und strich sich mit dem lauwarmen Pfeifenkopf über die Stirn, eine Geste, in der viel Verzweiflung lag. »Ich verstehe. Der Mann betrogen, gedemütigt, der neue Liebhaber imstande, mir meine Frau wegzunehmen... Ich verstehe Ihre Mechanismen. Mein Gott... Aber müssen Sie immer so schlicht sein? Können Sie nicht anders denken? Komplizierter denken?«
    »Doch«, sagte Danglard. »Das kommt vor. Aber Ihre Situation ist wirklich heikel.«
    »Das stimmt«, gab Le Nermord zu. »Aber ich hoffe für mich, daß Sie sich bei Ihrem Urteil nicht irren. Ich nehme also an, daß wir uns wiedersehen müssen?«
    »Montag?« schlug Adamsberg vor.
    »Einverstanden, Montag. Und ich nehme auch an, daß ich nichts für Delphie tun kann. Sie ist in Ihren Händen?«
    »Ja, Monsieur. Tut uns leid.«
    »Werden Sie eine Autopsie vornehmen?«
    »So leid es uns tut.«
    Danglard ließ eine Minute verstreichen. Er ließ immer eine Minute verstreichen, nachdem er von Autopsien gesprochen hatte.
    »Denken Sie für das Gespräch am Montag darüber nach, was Sie am Mittwoch, dem 19. Juni, und Donnerstag, 27. Juni, jeweils abends gemacht haben«, fuhr er dann fort. »Das sind die Nächte der beiden vorangegangenen Morde. Wir werden Sie danach fragen. Es sei denn, Sie können uns jetzt schon antworten.«
    »Da muß ich nicht nachdenken«, antwortete Le Nermord. »Es ist so einfach wie traurig: Ich gehe nie aus. Ich verbringe alle meine Abende damit zu schreiben. In meinem Haus wohnt niemand mehr, um Ihnen das zu bestätigen, und ich habe wenig Kontakt zu meinen Nachbarn.«
    Alle begannen zu nicken, keiner wußte, warum. Es gibt so Momente, wo alle nicken.    
    Für diese Nacht war das Gespräch beendet. Adamsberg, der die Müdigkeit auf den Lidern des Byzantinisten sah, gab das Signal zum Aufbruch, indem er sich behutsam erhob.
     
    ***
     
    Danglard verließ seine Wohnung am nächsten Morgen mit Ideologie und Gesellschaft unter Justinian unter dem Arm, einem Buch von Le Nermord, das elf Jahre zuvor erschienen war. Aber das war alles, was er in seinem Bücherregal gefunden hatte. Auf der Rückseite stand eine kurze schmeichelhafte Biographie, illustriert mit

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