Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord
einem Foto des Autors. Le Nermord lächelte, er war jünger, hatte genauso häßliche Gesichtszüge, aber ohne Besonderheit, abgesehen von regelmäßigen Zähnen. Gestern hatte Danglard bemerkt, daß er den Tick der Pfeifenraucher hatte, mit dem Mundstück an seine Zähne zu klopfen. Banale Feststellung, hätte Charles Reyer gesagt.
Adamsberg war nicht da. Er war sicher bereits zu dem Liebhaber gegangen. Danglard legte das Buch auf den Schreibtisch des Kommissars und ertappte sich dabei, daß er hoffte, ihn mit dem Bestand seiner Bibliothek zu beeindrucken. Es war vergeblich, da er inzwischen wußte, daß Adamsberg nur wenige Dinge beeindruckten. Dann eben nicht.
Danglard hatte an diesem Morgen nur eine Idee im Kopf: zu erfahren, was im Laufe der Nacht im Haus von Mathilde geschehen war. Margellon, der bei seinen Wachdiensten gut durchhielt, erwartete ihn, um Bericht zu erstatten, bevor er schlafen ging.
»Es gab Bewegung«, sagte Margellon. »Ich habe mich wie abgemacht bis halb acht heute morgen vor dem Haus versteckt. Die Dame des Meeres hat das Haus nicht verlassen. Sie hat das Licht in ihrem Wohnzimmer, vermute ich, gegen halb eins ausgemacht, und das im Schlafzimmer eine halbe Stunde später. Die alte Valmont dagegen ist um fünf nach drei schwankend nach Hause gekommen. Sie stank nach Alkohol, das war eine lange Geschichte. Ich habe sie gefragt, was passiert sei, und sie hat geflennt. Nicht gerade sehr lustig, die Alte. Was für ein Ekel! Na ja, nach dem, was ich verstanden habe, hat sie den ganzen Abend in einer Brasserie auf einen Verlobten gewartet. Der Verlobte ist nicht gekommen, da hat sie getrunken, um sich zu stärken, und ist auf dem Tisch eingeschlafen. Der Wirt hat sie geweckt, um sie rauszuschmeißen. Ich glaube, es war ihr peinlich, aber sie war zu betrunken, sie konnte nicht anders, als alles zu erzählen. Ich habe den Namen der Brasserie nicht rauskriegen können. Es war schon schwierig, einen roten Faden in all dem Gebrabbel zu finden. Sie hat mich ein bißchen angewidert. Ich habe sie am Arm bis vor ihre Tür geführt, dort konnte sie sehen, wie sie zurechtkommt. Heute morgen ist sie dann mit einem kleinen Koffer wieder herausgekommen. Sie hat mich ohne den geringsten Anflug von Überraschung wiedererkannt. Sie hat mir erklärt, sie habe ›die Nase voll von den Anzeigen‹ und würde für drei, vier Tage ins Berry zu einer Freundin fahren, die Schneiderin ist. Es geht nichts über die Schneiderei, hat sie hinzugefügt.«
»Und Reyer? Hat er sich gerührt?«
»Reyer hat sich gerührt. Gegen elf Uhr abends hat er sehr gut gekleidet das Haus verlassen und ist ebenso schick, mit seinem Stock klappernd, gegen halb zwei wieder zurückgekommen. Clémence, die mich nicht kannte, konnte ich Fragen stellen, aber bei Reyer war das unmöglich. Er kennt meine Stimme. Ich habe mich also versteckt gehalten und habe jeweils die Uhrzeit notiert. Na, es wär ihm jedenfalls schwergefallen, mich zu entdecken, nicht wahr?«
Margellon lachte. Er war wirklich blöd.
»Rufen Sie ihn mir ans Telefon, Margellon.«
»Reyer?«
»Natürlich Reyer.«
Charles lachte, als er Danglards Stimme hörte, und Danglard verstand nicht, warum.
»Nun, Inspektor Danglard«, sagte Charles. »Ich erfahre aus dem Radio, daß Sie neue Sorgen haben. Wunderbar. Und da halten Sie sich erneut an mich? Keine andere Idee?«
»Wo sind Sie gestern abend gewesen, Reyer?«
»Mädels anmachen, Inspektor.«
»Und wo?«
»Im Nouveau Palais.«
»Kann das jemand bezeugen?«
»Niemand! In den Clubs sind zu viele Leute, da fällt ein einzelner nicht auf, das wissen Sie sehr gut.«
»Was bringt Sie daran zum Lachen?«
»Sie! Ihr Anruf bringt mich zum Lachen. Die liebe Mathilde, die ihre Klappe nicht halten kann, hat mir anvertraut, daß der Kommissar ihr geraten hat, sich diese Nacht ruhig zu verhalten. Daraus habe ich geschlossen, daß Sie vorhatten, Ärger zu machen. Ich fand die Gelegenheit also hervorragend, um auszugehen.«
»Aber warum, verdammt? Glauben Sie, das erleichtert mir die Arbeit?«
»Das ist nicht meine Absicht, Inspektor. Sie nerven mich vom Beginn dieser Geschichte an. Ich hatte den Eindruck, daß jetzt ich mal an der Reihe bin.«
»Kurz gesagt, Sie sind ausgegangen, um uns zu ärgern.«
»Könnte man so sagen, ja, denn Mädchen habe ich keine gefunden. Und ich bin zufrieden, daß mir das gelungen ist. Wirklich zufrieden, wissen Sie.«
»Aber warum?« fragte Danglard von neuem.
»Weil mich das
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