Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord
Später hat er sich gedacht, daß ihr Mann sie wohl wieder einmal angerufen hat. Aber er hat sich nicht getraut, bei Le Nermord anzurufen, und ist schlafen gegangen. Ich habe ihn heute morgen geweckt.«
»Le Nermord kann den Kreis sagen wir gegen Mitternacht entdeckt haben. Er bestellt seine Frau dorthin und schneidet ihr an Ort und Stelle die Kehle durch. Ich glaube, Le Nermord sieht ziemlich alt aus. Was denken Sie?«
Adamsberg verstreute Brotkrümel um seinen Teller. Danglard, der immer sehr manierlich aß, bedrückte das.
»Was ich denke?« fragte Adamsberg und hob den Kopf. »Nichts. Ich denke an den Mann mit den Kreisen. Das müßten Sie allmählich wissen, Danglard.«
***
Der Polizeigewahrsam und die ununterbrochenen Vernehmungen von Augustin-Louis Le Nermord begannen Montag morgen. Danglard hatte ihm nicht verhehlt, daß ihn das alles bedrückte.
Adamsberg ließ Danglard machen, der sein Ziel gnadenlos unter Beschuß nahm. Der alte Mann schien unfähig, sich zu verteidigen. Jeder seiner Versuche, sich zu rechtfertigen, wurde sofort von Danglards schneidenden Bemerkungen abgeschmettert. Aber Adamsberg sah deutlich, daß Danglard zugleich auch Mitgefühl für sein Opfer empfand.
Adamsberg empfand nichts Derartiges. Er hatte Le Nermord vom ersten Augenblick an nicht ausstehen können, und er wollte um alles in der Welt vermeiden, daß Danglard ihn fragte, wieso. Also sagte er nichts.
Danglard nahm Le Nermord mehrere Tage lang ins Verhör.
Von Zeit zu Zeit betrat Adamsberg das Büro von Danglard und sah zu. Der alte Mann war in die Enge getrieben, von den Anschuldigungen, die auf ihm lasteten, erschreckt und fiel sichtlich immer mehr zusammen. Er konnte nicht einmal mehr auf die einfachsten Fragen antworten. Nein, er wußte nicht, daß Delphie kein Testament aufgesetzt hatte. Er war immer überzeugt gewesen, daß alles ihre Schwester Claire bekommen würde. Er mochte Claire, sie wurstelte sich mit drei Kindern allein durchs Leben. Nein, er wußte nicht, was er in den drei Mordnächten getan hatte. Er mußte gearbeitet haben und dann schlafen gegangen sein wie jeden Abend. Eisig widersprach ihm Danglard: Am Abend des Mordes an Madeleine Châtelain hatte die Apothekerin Nachtdienst. Sie hatte gesehen, wie Le Nermord das Haus verließ. Niedergeschmettert erklärte Le Nermord, daß das möglich sei, er gehe manchmal abends noch raus, um ein Päckchen Zigaretten am Automaten zu holen: »Ich mache das Papier ab und nehm den Tabak für meine Pfeife. Delphie und ich haben immer viel geraucht. Sie hat versucht, damit aufzuhören. Ich nicht. Zu einsam in dem großen Kasten.«
Erneute kreisförmige Handbewegungen, Zusammenbruch, aber immer noch ein Funken Widerstand in seinem Blick. Vom Professor am College de France blieb nicht viel mehr übrig als ein einfacher alter Mann, der einen zerstörten Eindruck machte und sich allem gesunden Menschenverstand zum Trotz mühte, einer unvermeidlich scheinenden Verurteilung zu entgehen. Tausendmal vielleicht hatte er wiederholt: »Aber ich kann es nicht gewesen sein. Ich habe Delphie geliebt.«
Danglard fuhr immer besessener fort, beharrlich nachzuhaken, und ersparte ihm kein einziges Detail, das ihn verdächtig machte. Er hatte den Journalisten sogar ein paar Informationen überlassen, die groß aufgemacht worden waren. Der Alte hatte es kaum geschafft, das Mittagessen einzunehmen, das ihm gebracht wurde - trotz aller Ermutigungen von Margellon, der bisweilen sanftmütig sein konnte. Er hatte sich auch nicht mehr rasiert, selbst als er nach Beendigung des Polizeigewahrsams zum Schlafen nach Hause zurückgekehrt war. Es wunderte Adamsberg, wie dieser Alte, der doch ein verdammt entwickeltes Hirn hatte, um sich zu verteidigen, so schnell umfiel. Er hatte noch nie eine so rasche Auflösung erlebt.
Am Donnerstag war Le Nermord hochgradig nervös und hatte wirklich zitternde Knie. Der Untersuchungsrichter hatte ihn unter Anklage gestellt, Danglard hatte ihm die Entscheidung gerade mitgeteilt. Daraufhin sagte Le Nermord lange Zeit nichts mehr, genau wie in der Nacht ein paar Tage zuvor, und schien das Für und Wider abzuwägen. Adamsberg gab Danglard auf die gleiche Weise ein Zeichen, unter keinen Umständen einzugreifen.
Dann sagte Le Nermord:
»Geben Sie mir ein Stück Kreide. Ein Stück blaue Kreide.«
Da sich niemand rührte, fand er wieder zu etwas Autorität zurück und fügte hinzu:
»Beeilen Sie sich. Ich habe um ein Stück Kreide gebeten.«
Danglard ging
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