Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)

Titel: Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst Bosetzky
Vom Netzwerk:
Rothäute», sagte Klara, als wüsste sie, dass sie bei Kappe etwas gutzumachen hatte.
    Kappe zählte die Stationen - Zeuthen, Wildau, Königs Wusterhausen –, denn er hatte das Gefühl, dass er schon wieder mächtig schwitzte, wie immer, wenn er Bahn fuhr. Der Militärarzt hatte klaustrophobische Tendenzen bei ihm festgestellt, was er aber für ausgemachten Unsinn hielt. Trotzdem ging er immer wieder in die Drogerie, um zu fragen, ob sie etwas gegen Schweißausbrüche hätten. Wenn Lubosch damit auch noch anfing, war es Zeit, die Abteiltür aufzureißen und ihn aus dem Zug zu werfen.
    Zum Glück erreichten sie nun Königs Wusterhausen, wo sie ein Weilchen auf die Nebenbahn zu warten hatten, so dass er sich wieder abkühlen konnte.
    Etwa eine Stunde lang zuckelten sie nun über Niederlehme, Zernsdorf, Cablow, Friedersdorf, Cummersdorf, Storkow und Hubertushöhe zum Bahnhof Scharmützelsee.
    Langsam ging Gottlieb Lubosch der Gesprächsstoff aus, und Kappe konnte sich besser ins Licht rücken.
    «Möchte jemand eine Wal- oder eine Haselnuss essen?», fragte er und zog welche aus den Seitentaschen seines Jacketts. Ehe Lubosch verneinen konnte, hielt er schon eine Walnuss in der Hand.
    «Aber selber knacken, einen Nussknacker haben wir nicht. Machst du das bitte für Fräulein Klara?»
    Nun saß Lubosch in der Falle. So wie Kappe konnte er es nicht, dazu waren seine Finger zu zart, und die harte Nussschale mit den Zähnen zu zerbeißen wagte er auch nicht, dazu fürchtete er zu sehr um sein makelloses Gebiss.
    «Na, gib schon her.» Kappe lachte und glänzte mit seiner Kunstfertigkeit. Er verschränkte seine zehn Finger ineinander und presste die beiden Handflächen so kraftvoll zusammen, dass die Nussschale schnell zerquetscht war. «Wenn man seine ganze Kindheit und Jugend über gerudert hat, dann ist das ein Kinderspiel.» Und mit einer Eleganz und Koketterie, die er sich selber nie zugetraut hätte, steckte er nun Klara die kleinen Nussstücke in den Mund. Dabei war es unvermeidlich, dass er ihre Lippen berührte. Das löste in den unteren Regionen seines Körpers Reaktionen aus, die ihn zwangen, leicht nach vorn gebeugt zu sitzen.
    Als er die letzte Nuss für sie geknackt hatte, küsste Klara seine Fingerspitzen. So hielt die Fahrt denn doch noch das, was er sich von ihr erträumt hatte.
    «Wir sind am Ziel!», rief Lubosch.
    Nein, dachte Kappe, als er beim Aussteigen Klara galant aus dem Zug zu helfen suchte, am Ziel bin ich noch lange nicht, und das «Wir» in diesem Satz ließ ihn fast wütend werden, denn wenn er auch Freud und Leid mit Liepe teilen mochte, Klara nun ganz sicher nicht.
    Eingebettet in die dunkelgrünen Kiefernwälder, die sich die Rauener, die Dubrower und die Soldatenberge hinaufzogen, lag der Scharmützelsee. Zwölf Kilometer war er lang, aber ihr Blick reichte nur bis zur Stelle, wo sich zwischen Diensdorf und dem Silberberg ein Horn weit in den See vorschob. Dahinter schimmerten die Häuser von Pieskow aus dem schon etwas welken Grün hervor.
    «Ist das nicht ein herrliches Stückchen Erde hier?», rief Klara Göritz mit bühnenreifer Emphase.
    «Wenn ich erst mein Hotel hier baue. ..», sagte Lubosch. «Hier am Ufer.»
    Da konnte Hermann Kappe nur traurig dreinschauen. Die Natur zu erleben konnte ihn nur mäßig begeistern, und der See war für ihn nie ein großes Faszinosum gewesen, sondern immer nur ganz nüchtern der Arbeitsplatz seines Vaters. Ein sehr gefährlicher Arbeitsplatz dazu, wenn der Sturm von Norden oder Süden wehte und sich die Wellen türmten. Seine Sehnsucht hatte immer der Großstadt gegolten, und er sagte gern von sich, dass er in Wendisch Rietz als Berliner auf die Welt gekommen war.
    Um vom Bahnhof Scharmützelsee nach Wendisch Rietz zu kommen, mussten sie ein Stückchen am Bahndamm zurücklaufen, bei dem herrlichen Spätsommerwetter war das aber mehr Spaß als Mühe. An der prachtvollen Wassermühle am Verbindungsgraben zum Glubigsee machten sie kurz Halt. Kappe glaubte sich zu erinnern, dass man sie im Jahre 1533 errichtet hatte. «Aber was ist schon hängengeblieben von der Heimatkunde in der Schule?» Am Zollhaus vorbei ging es zur Schleuse, und gleich dahinter hatten die Kappes ihr kleines, geducktes und mit Reet eingedecktes Haus.
    Er freute sich, seine Eltern zu sehen, war aber gleichzeitig so ehrlich, sich einzugestehen, dass er sie in Berlin nicht sonderlich vermisste. Sein Vater stand gerade auf dem kleinen Rasenstück zwischen Häuschen und Ufer und war

Weitere Kostenlose Bücher