Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
verkneifen, denn übermäßig monarchistisch war er nicht gestimmt. «Zu uns ins Polizeipräsidium ist er auch noch nicht gekommen. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ludwig XVI. hätte ja auch nie gedacht, dass sie ihn mal enthaupten würden.»
Entsetzt sah sich Lubosch nach den anderen Fahrgästen um.
«Psst! Wenn die uns hören. ..»
«Was denn?», fragte Kappe und tat arglos. «Kann man nicht mal über die schlimmen Zustände im Lande unseres Erzfeindes lästern?»
Klara Göritz war anzumerken, dass sie seinem Freund lieber lauschte als ihm, und so nickte sie Gottlieb Lubosch huldvoll zu.
«Erzählen Sie bitte weiter, was in der großen Welt noch alles passiert ist.»
Liebend gern kam Lubosch diesem Wunsche nach. «Sie werden sicherlich schon in Erfahrung gebracht haben, dass das russische Kaiserpaar zur Kur im Hessischen weilt, in Nauheim und Friedberg, und nun wird gemunkelt, dass sich der Kaiser und der Zar bald auf deutschem Boden treffen werden.»
«Am besten in Berlin», sagte Kappe. «Dann kann sich die Zarin gleich bei Rudolph Hertzog einen neuen Hut kaufen.» Nur langsam begriff er, dass er mit Bemerkungen wie dieser kaum Klaras Gunst gewinnen konnte.
Dagegen gewann Lubosch immer weiter an Boden. «Schlimm hat es den Fürsten von Bülow getroffen: In den Dünen von Norderney ist er vom Pferd gestürzt und hat sich die linke Schulter gequetscht.»
Kappe verkniff sich eine Bemerkung zu diesem Sturz und schaute nur angestrengt aus dem Fenster. Gerade hielten sie am Bahnhof Baumschulenweg. Dass auch Bäume zur Schule gehen mussten, fand er tröstlich und wollte auf die alte Schule in Wendisch Rietz zu sprechen kommen, doch die beiden anderen fanden Klatsch und Tratsch viel schöner.
«Bei uns im Adlon ist der berühmte französische Schriftsteller Marcel Prévost eingetroffen, zu meinem großen Leidwesen mit seiner Frau. Wie soll ich ihm da willige Damen verschaffen und zu einem guten Trinkgeld gelangen? Aber vielleicht kann man gerade deswegen einen Skandal erhoffen. Skandal ist immer das Süßeste.»
«Wie frivol!», gluckste Klara.
«Wenn es einen Mord geben sollte, sag mir bitte rechtzeitig Bescheid.» Kappe fand, dass es wieder einmal an der Zeit war, sich bemerkbar zu machen.
«Bitte nicht im Adlon, lieber im Hotel Reichstag. Die Komtesse Awaroff aus Petersburg, die sonst immer bei uns Wohnung genommen hat, ist dort abgestiegen.»
Weiter ging es. Am Bahnhof Schöneweide blickte Kappe sehnsuchtsvoll nach rechts, wo der Flughafen Johannisthal gelegen war, der erste in Deutschland. Fast genau vor einem Jahr hatte es hier ein «Konkurrenz-Fliegen der ersten Aviatiker der Welt» gegeben, und er war von Storkow hergekommen, um das Spektakel zu verfolgen. Wie hatte er da dem einzigen Deutschen unter den Startern, Hermann Dorner, die Daumen gedrückt, doch der war gegen die ausländische Elite mit Blériot, Rogier und Latham ohne Chance gewesen. Hermann Kappe war ein großer Liebhaber der Fliegerei und träumte davon, einmal fliegen zu lernen und eine Rumpler-Taube sein Eigen zu nennen.
Munter plaudernd passierten sie Adlershof, Grünau und Eichwalde-Schmöckwitz. Lubosch war inzwischen dazu übergegangen, das Fräulein Göritz über die kleinen Schwächen und Macken seines Freundes aufzuklären.
«Passen Sie mal auf, wenn er heftig nachdenkt, bohrt er immer mit dem rechten Zeigefinger im Ohr, und wenn er sich langweilt, kaut er auf der Unterlippe. Haben Sie das eben gesehen?»
Kappe, der ihm gegenüber platziert war, verpasste ihm einen leichten Tritt vors Schienenbein. «Hör bitte auf damit.»
Lubosch lachte. «Es ist meine Pflicht, sie vor dir zu warnen, aber ihr auch klarzumachen, dass du es manchmal nicht so meinst, wie du es sagst. - Wenn er Sie in der nächsten Woche einmal mit Fräulein Martha anreden sollten, dann liegt das nicht daran, dass er eine andere hat, sondern nur an seinem schlechten Namengedächtnis. Ständig verdreht und verwechselt er die Namen von Menschen, denen er mehrmals begegnet.»
«Ist ja gut, Kubisch!», rief Kappe.
Klara Göritz guckte irritiert. «Ich denke, Sie heißen Lubosch?»
Kappe schluckte, denn ein wenig heller hätte er sich seine Braut schon gewünscht.
Lubosch klärte Klara auf, dann fuhr er fort, ihr Kappe näherzubringen. «Ein großer Karl-May-Liebhaber ist er auch noch und wäre am liebsten Old Shatterhand. Da wir in Berlin aber keine Prärie und keine Rothäute haben, ist er Kriminaler geworden.»
«Rote schon, wenn auch keine
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