Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
dabei, einen umgedreht auf zwei Böcken ruhenden Kahn zu teeren.
Der Fischer Wilhelm Kappe war ein derart wortkarger Mensch, dass manche dachten, er sei taubstumm. Mit wem aber sollte er, wenn er stundenlang allein in seinem Kahn saß, auch reden? Die Fische antworteten nicht. Doch auch abends im Dorfkrug bei Bier und Kartenspiel sprach er nur wenig. «Warum soll ich denn?», war seine Antwort, wenn er darauf angesprochen wurde. «Ich weiß sowieso schon im Voraus, was die anderen sagen werden.» Über das Wetter, über die schlechten Preise für Hecht und Zander und über den Kaiser in Berlin. «Außerdem redet meine Frau für zwei.»
Kappe begrüßte ihn mit einer gewissen Zurückhaltung. Das mochte daran liegen, dass er, sah er die Hände seines Vaters, sofort an die viele Prügel denken musste, die er bezogen hatte. Mit der Rute, mit dem Ausklopfer, mit dem Enterhaken.
«Alles in Ordnung?», fragte er den Alten eher beiläufig.
«Fängst du genug, um. ..»
«Ja.»
«Ist was für mich im Netz drin gewesen?»
«Nein.»
Das bezog sich darauf, dass Kappe hoffte, sein Vater würde wieder einmal Fundstücke aus der Germanenzeit nach Hause bringen. Auf dem Grund des Sees musste einiges liegen, hatten hier doch die Sueben gesiedelt, bevor sie ihren großen Treck nach Süden angetreten hatten. Die Zeit zwischen 50 und 600 n. Chr. war es, die Kappe interessierte. Alles Germanische sammelte er, und wo immer er war und ein wenig Zeit hatte, suchte er nach Siedlungen und grub nach Fundstücken.
Seine Mutter kam aus dem Haus. Sie umarmten sich mit großer Geste und so lautstark, dass nebenan die Fenster aufgingen.
Manche im Dorfe sagten, Bertha Kappe sei nicht ganz richtig im Kopf, weil sie pausenlos redete, oft wirres Zeug, wie es schien, aber das stimmte nicht, das lag nur daran, dass sie bei der langweiligen Haus- und Küchenarbeit so tat, als stünde sie auf einer Bühne und spielte Theater. Der Grund dafür war ein ganz einfacher und hieß Onkel Carl. Der, schon lange verstorben, hatte als Küster und Kantor in Köpenick gelebt und sie als junges Mädchen ab und an ins Theater mitgenommen. «Ihr einen Floh ins Ohr gesetzt», wie ihre Eltern meinten. Wahrscheinlich wäre sie auch nach Berlin gegangen und hätte sich als Köchin verdingt, wenn da nicht die Liebe gewesen wäre, ihr Wilhelm. Da war sie dann als Fischersfrau in Wendisch Rietz hängengeblieben. Aber so manche Rosine hatte sie noch immer im Kopf. «Muss sie wohl auch», meinten alle, die das Grimmsche Märchen vom Fischer und siner Fru noch im Ohr hatten. Doch aus dem Scharmützelsee war bislang noch kein Butt aufgetaucht, um ihr alle Träume zu erfüllen.
Seine Mutter war entzückt von Klara Göritz. «Kind, wie du dich in den letzten Jahren rausgemacht hast! Und wie du aussiehst! Eine Fritzi Massary ist gar nichts gegen dich. Eine richtige Wespentaille hast du. Hoffentlich habe ich nicht zu fett für dich gekocht. Nein, meine Fischsuppe ist ziemlich mager, aber der Zander. .. in Butter gebraten. Na, wenn eine Frau zu dünn ist, hat ein Mann auch nichts von ihr, sage ich immer. Und Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Dein Kleid ist ein einziger Traum in Weiß und Himmelblau. Und die Rüschen - herrlich! Der Hut erst! Komm, las dich bewundern, Kind! Ich muss das gleich doppelt tun, denn deine lieben Eltern sind ja leider schon vor langer Zeit heimgegangen.»
So ging es eine Weile, und Kappe ging zum Schuppen, wo er seinen Bruder Albert beim Netzeflicken entdeckte. Zwölf war er geworden, ging noch zur Schule und sollte einmal Fischer werden, um das Werk seines Vaters fortzuführen. Er fragte Kappe, warum er die anderen beiden Geschwister nicht mitgebracht hatte, waren sie doch auch nach Berlin gegangen. Oskar, 24, stand als Obergefreiter beim 1. Garde-Dragoner-Regiment in der Belle-Alliance-Straße, und Pauline, 18, war als Dienstmädchen in Friedenau in Stellung.
«Schade, aber Oskar ist im Manöver, und Pauline muss mit ihrer Herrschaft eine Landpartie in den Spreewald machen, sie brauchen eine neue Amme. Aber wir sehen uns ja in Berlin auch nur alle Jubeljahre mal, jeder hat sein eigenes Leben.»
Das Mittagessen im Elternhaus verlief überaus harmonisch, und Kappe konnte sich über nichts beklagen.
«Nach dem Essen soll man ruhen oder tausend Schritte tun», sagte Wilhelm Kappe, als alles verputzt war.
«Tausend Schritte sind gesünder», entschied Bertha Kappe die Frage. «Geht mal alle zum Friedhof, Klaras Eltern besuchen,
Weitere Kostenlose Bücher