Es geschah in Berlin 1910 Kappe und die verkohlte Leiche (German Edition)
stammen und auch wieder dorthin zurückgekehrt sein, denn eine Straftat nach seinem Muster ist hier nicht mehr begangen worden.»
Kappe nickte. «Ich bin mir sicher, dass er Berliner ist, und halte jeden Tag die Augen offen - bis jetzt leider vergeblich. Aber solange ich ihn nicht hinter Gittern weiß, werde ich keine Ruhe geben.»
«Recht so», sagte der Major und hatte abermals Fontane im Munde: «Der Mensch ist eine Bestie und seiner Niedertracht muss mit Mitteln aus demselben Arsenal begegnet werden.»
Die bucklige Alte, die er als Haushälterin engagiert hatte, brachte einige Flaschen mit Likör und Kognak an, denn es wurde Zeit, den Abschiedstrunk zu nehmen und sich dann auf den Weg zum Bahnhof Storkow zu machen.
«Ich trinke auf das Wohl meiner lieben Gäste», sagte der Major. «Dass sie glücklich zu Ende bringen, was sie angefangen haben, und all das fangen, was sie einfangen wollen, seien es nun Herzen oder seien es Mörder.»
SIEBEN
Montag, 26. September 1910
IN DER MORDKOMMISSION KOHLENPLATZ ging es am Montagmorgen nicht gerade hektisch zu. Alle waren irgendwie müde. Hermann Kappe nicht nur wegen des anstrengenden Ausflugs nach Wendisch Rietz, sondern weil ihm wieder einmal seine geheimnisvolle Krankheit zu schaffen machte. Wie bei einer Influenza fühlte er sich da, ohne aber eine zu haben. Abgeschlafft war er, litt unter Gliederschmerzen und hätte in einer Tour schlafen können. Die Ärzte, die er bisher konsultiert hatten, waren ratlos gewesen. Die einen sprachen von einer Stoffwechselkrankheit, die anderen tippten auf bisher unbekannte Erreger, die durch Insekten übertragen worden waren. Um nicht in den Verdacht zu geraten, am Montag blaumachen zu wollen, hatte er sich auch heute zum Alexanderplatz geschleppt. Als er im Besprechungszimmer angekommen war, ging es ihm aber wieder besser.
Galgenberg gähnte. «Morgenstund hat Jold im Mund - wer lange schläft, bleibt ooch jesund.»
Inspektor von Canow begrüßte alle und wandte sich dann Dr. Kniehase zu. «Nun, Doktor, was sagt uns die Leiche?»
«Die Gerichtsmediziner sind sich sicher, dass Tilkowski erst erschossen und dann verbrannt wurde. Und dem Einschusskanal zufolge kann ausgeschlossen werden, dass er sich selbst getötet hat.»
«Nun gut.» Von Canow schnupperte an seiner Zigarre und hätte sich lieber einem anderen Genuss als dem der Arbeit hingegeben. «Hinweise aus der Bevölkerung sind keine eingegangen, und auch die Kollegen vor Ort haben nichts Zweckdienliches zu melden gewusst. Alle aber teilen meine Meinung, dass der Mörder in den Reihen der Streikenden und der Exzedenten zu suchen ist. Hören Sie sich also um, meine Herren.»
Kappe war zu neu in der Gruppe, um zu wissen, dass Einwände gegen die Meinung des Vorgesetzten als unstatthaft angesehen wurden. «Wäre es nicht angebracht, mit der Braut des Opfers zu reden?»
«Sie als alter Kriminaler müssen das ja wissen», sagte von Canow mit größtmöglicher Missbilligung im Blick. «Dieses Fräulein ist, wie wir alle wissen, eine stadtbekannte Streikführerin.»
Kappe fühlte sich durch die ätzende Ironie des Vorgesetzten schon ein wenig verletzt, sah es aber als seine Pflicht an, auf fachgerechtes Handeln zu bestehen. «Aber Sophie Schünow könnte wissen, wer von den Streikenden schon früher einmal heftige Auseinandersetzungen mit Tilkowski gehabt hat.»
Galgenberg lachte. «Der Kappe, das ist mir einer. Der will doch nur ins Krankenhaus, um die Schünow im Bett zu sehen. So
’n Frauenzimmer wie die, wie die gebaut is. ..» Dann begann er zu singen. «Wenn meine Frau sich auszieht, wie die dann aussieht!»
«Was hat Ihre Frau mit der Schünow zu tun?», fragte Dr. Kniehase.
«Nichts», erwiderte Galgenberg. «Det is ja det Schlimme.» Von Canow hatte nun Bilder vor Augen, die ihn Kappes Affront vergessen ließen. «Nun gut, sprechen Sie mit der Schünow, bevor Sie sich im Milieu umhören.»
«In welchem?», fragte Dr. Kniehase mit anzüglichem Grinsen.
«Nicht in dem, sondern in dem der Anarchisten und Tumultuanten», präzisierte von Canow die Weisung.
Hermann Kappe und Gustav Galgenberg saßen in der Straßenbahn und fuhren nach Moabit. Mit der Linie 9 kam man von der Holzmarktstraße, ohne umzusteigen, nach Moabit.
«Wie war’s denn gestern mit der großen Liebe?», fragte Galgenberg.
Kappe druckste ein wenig herum. «An sich sehr schön, aber so richtig weitergekommen bin ich nicht. Ich fürchte, dass sie meinen Freund Liepe mir vorziehen könnte,
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