Es geschah in einer Regennacht
Werkstatt
eines Fälschers«. Wobei er zum Schluss immer die Frage aufwarf: »Wieso ist das
jahrhundertealte Originalgemälde eines alten Meisters oft unerschwinglich, und
für die mindestens genauso schöne Kopie, die so genannte Fälschung, kriegt der
Künstler nichts — beziehungsweise zwei Jahre Knast?« Damit verbuchte er stets
einen Heiterkeitserfolg; eine ernsthafte Diskussion entstand nie.
Auch Angela, Harald und
Burkhard hatten sich im Anschluss an diesen Abend nicht damit aufgehalten,
waren aber im gemütlichen Nebenraum sitzen geblieben und tranken eine Flasche
spanischen Rotwein.
Burkhard hätte gern geraucht,
verkniff sich’s aber, weil er wusste, dass Angela das hasste.
Wie immer spürte er
Herzklopfen, wenn er sie nur ansah. Angela war hoch gewachsen und schlank,
hatte violette Augen und das Profil einer griechischen Göttin. Kastanienbraunes
Haar bis zur Schulter, Mittelscheitel, ein kleiner Leberfleck im Mundwinkel.
Wenn sie den Kopf neigte, rutschte links — immer nur links — eine wellige
Strähne übers Auge, was dann zu einer anmutigen Kopfbewegung führte. Burkhard
wartete regelrecht darauf. Er fand dieses leichte Zurückwerfen des Kopfes
»tierisch schön« — schöner noch als bei einer rassigen schneeweißen
Araberstute.
Angela war Grundschullehrerin.
Sie unterrichtete Erstklässler. Und hatte keine Probleme mit ihren Schülern.
Die kleinen Jungen himmelten sie an, die Mädchen wollten werden wie sie; alle
lernten ihr zuliebe.
An diesem Abend hatte sich
Angela an keinem Gespräch beteiligt und nur einmal kurz gelächelt. Das war, als
Karl sich verabschiedete. Dass er früher nach Hause musste und nicht dablieb in
geselliger Runde, verstand sich von selbst.
»Angela! Was ist los? Du wirkst
heute so traurig.«
Harald Riemers Stimme klang
immer, als würde er gleich schnurren, aber nicht katerhaft, sondern wie ein
gezähmter Tiger. Harald war fünfunddreißig und sah verdammt gut aus, blond und
kantig wie der Hauptdarsteller einer Vorabendserie. Aber er war nicht
Schauspieler, sondern Geschäftsführer in einem Einkaufsmarkt für Gartenmöbel.
Er hatte eine Schwäche für Lederjacken, besaß mindestens neun — wie Burkhard
gezählt hatte — und war offenkundig in heißer Liebe entbrannt. Natürlich zu
Angela. Doch sie hielt ihn hin. Denn noch gehörte ihr Herz einem andern, dem
großen Maler Ludwig Simonka. Die beiden waren ein Paar gewesen, bis Simonka vor
drei Jahren spurlos verschwunden war. Die gesamte Kunstwelt hatte an diesem
rätselhaften Geschehen Anteil genommen. Polizeiliche Ermittlungen hatten kein
Ergebnis gebracht. Simonka blieb verschollen. Aber Angela wollte bis heute
nicht wahrhaben, dass er möglicherweise tot war.
Angela hatte ihre blass
lackierten Fingernägel betrachtet und hob jetzt den Blick.
»Traurig? Ich bin verzweifelt!«
»Aber weshalb denn, Angela?«,
schaltete Burkhard sich ein. »Der alte Schmerz? Denkst du an deinen Ludwig?«
Diese Worte waren durchaus
hinterhältig — hinterhältig gegenüber Harald, seinem Rivalen.
Denn der vermied das Thema um
Angelas Ex, um dessen Schicksal und Ruhm. Zwar ließ er sich den Widerwillen
nicht anmerken, denn diese Haltung wäre für Angela unverzeihlich gewesen. Aber
Burkhard wusste, was sein tigerhafter Rivale fühlte. Und da er, Burkhard,
mindestens genauso verliebt war in Angela, trieb er sein Spielchen. Allerdings
wusste er auch: Seine Chancen standen schlecht. Äußerlich konnte er mit Harald
nicht konkurrieren. Zwar hielt sich Burkhard für charaktervoller und klüger,
aber er sah aus wie jemand, an den sich niemand erinnert: unscheinbar und
verhuscht. Mit seinen 164 Zentimetern Niedrigwuchs war er außerdem kleiner als
Angela, von Harald ganz zu schweigen. Er war schmächtig, hatte fahlfarbenes Haar
und ungesunde Haut. Er war schüchtern und musste sich ständig ermahnen,
aufrecht zu gehen. Auch sein Job als städtischer Verwaltungsangestellter machte
nicht viel her. Es hätte eines wahren Wunders bedurft, um er der schönen Angela
als Mann attraktiv zu scheinen.
Aus blassblauen Augen hatte
Harald einen bösen Blick abgeschossen, aber Burkhard sah nur Angela an.
Sie schüttelte den Kopf. »Das
ist es nicht. Die Erinnerung an Ludwig tut weh, aber jetzt habe ich banalere
Sorgen. Finanzielle Sorgen.«
»Wenn du Geld brauchst«, sagte
Harald rasch, »kann ich dir helfen.« Und feierlich setzte er hinzu: »Was ich
besitze — du kannst darüber verfügen.«
Angela sah ihn nachdenklich an.
»Danke! Aber
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