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Es geschah in einer Regennacht

Es geschah in einer Regennacht

Titel: Es geschah in einer Regennacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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rotweißen Sneakers.
    Lohm hatte mit Zitterfingern
den Liftknopf gedrückt. Kolloschke, der Direktor, Gaby, Tim, Oskar und zwei
Uniformierte stiegen ein. Der dritte Polizist blieb als Wache am Eingang,
weshalb auch immer. Mit Besuchern war ja nicht zu rechnen, auch nicht mit Rückkehr
der Einbrecher. Und die Zeitungsreporter hatten noch keine Witterung
aufgenommen.
    Bin gespannt, überlegte Tim,
wie die Ordnungshüter jetzt vorgehen. Er legte den Arm um Gabys Schulter. In
dem blonden Haar seiner Freundin duftete der Regen wie grasiges Parfüm.
    Kolloschke starrte Lohm an.
»Wir überprüfen in jeder Etage die Fenster der Rückfront. Verstanden?«
    Lohm nickte. »Die sind bestimmt
alle geschlossen. Unser Personal passt auf, bevor abends alle nach Hause
gehen.«
    Tim drückte Gabys Schulter. Na,
wunderbar!, hieß das. Vor so einem geschlossenen Fenster kapitulieren die
Einbrecher doch sofort. Wenn das keine Sicherheit ist!
    »Alarmanlagen!«, schnauzte
Kolloschke den Direktor an. »Hier gibt’s doch Alarmanlagen?«
    »Die... äh... wertvollen
Gemälde sind damit gesichert. Die Fenster leider nicht.« Und mit dem Versuch,
witzig zu sein, fügte er hinzu: »Fenster sind ja... nicht so wertvoll.«
    Sie waren längst angekommen im
ersten Stock. Ein Polizist hielt die Lifttür auf. Die Überprüfung der Fenster
dauerte nicht lange. Alles okay. Auch im zweiten, dritten und vierten Stock. Im
fünften empfing sie die Bescherung gegenüber vom Lift. Ein Fenster, dessen
Scheibe eingeschlagen war und unter dem sich ein Splitterteppich auf dem Boden
ausbreitete, stand weit offen. Dahinter ragte das Baugerüst ins Blickfeld, den
entfernten Hintergrund bildete der inzwischen schwarzblaue Nachthimmel mit
dunstiger Beschichtung und feinem Nieselregen.
    »Oh!«, ächzte Lohm. »Hier ist
die Meisteretage. Hier sind die kostbarsten Exponate (Museumsstücke ).«
Er zitterte noch heftiger. »In acht großen Sälen. Oh Gott!«
    Tim legte ihm die Hand auf den
Arm. »Falls die Einbrecher nicht mehrmals ein- und ausgestiegen sind — und das
glaube ich nicht, weil’s zu riskant für sie wäre — , ist ihre Beute nicht groß.
Ein Gemälde. Höchstens zwei. Mehr hatten sie nicht unter der Wolldecke. Gaby
ist auch der Meinung.«
    Lohm nickte. Aber seine
verzweifelte Miene drückte aus, dass auch ein Bild zu viel war.
    Sie eilten durch die Säle.
Oskar wollte das Bein heben, doch Gaby zog ihn rasch weiter.
    Sonst, dachte Tim, sind ja
Hunde im Museum nicht erlaubt. Aber was normalerweise gilt, ist durch die
kriminelle Tat außer Kraft gesetzt.
    In den Sälen eins bis sieben
atmete Lohm jedes Mal auf, nach Luft schnappend wie ein Ertrinkender, der doch
noch den Kopf über Wasser kriegt. In Saal acht dann sein Aufschrei und die
pflaumenblaue Hand wies vorwurfsvoll auf eine große, leere Stelle an der Wand.
Ein Sicherheitsdraht war sauber durchtrennt, die Alarmanlage hatte vermutlich
keinen Pieps von sich gegeben.
    »Der... der ›Tanzende Tiger‹.
102 mal 82 Zentimeter. Das größte und einzigartige Werk von dem Künstler Ludwig
Simonka. O Gott!«

    Alle starrten die leere Fläche
an.
    Nach einer Weile fragte Gaby:
»Wie kostbar ist der Tiger?«
    »Äh...«, Lohm zögerte.
»Katalogwert — würde ich sagen — mindestens fünf Millionen. Aber Preise in der
Kunst sind relativ. Sollte sich herausstellen, dass Simonka noch lebt, könnte
der Wert sinken. Bleibt er tot... äh, verschollen... könnten Kunstsammler bald
bereit sein, das Doppelte dafür anzulegen.«
    »Muss ein besonderer Tiger
sein«, kläffte Kolloschke. »Was ist dran an dem Vieh?«
    »Simonka zeigt mit ihm das
Urbild der Bestie, die gleichwohl liebenswert ist, nämlich Teil der Schöpfung.«
    »Und das Vieh tanzt?«
    »Der Tiger steht auf den
Hinterpfoten. Seine Haltung drückt Anmut und Aggressivität aus. Aber das
Faszinierendste sind die Augen. Der grün schillernde Blick folgt dem
Betrachter, selbst dann noch, wenn er seitlich zum Bild steht. Der Blick sagt:
Es gibt kein Entrinnen. Aber ich töte nur, wenn ich hungrig bin. Und nur so
viel, wie ich zum Leben brauche. Zum Überleben. Ein Killer, ein Man-Eater bin
ich nicht.«
    Tim beugte sich zu Gabys Ohr
und flüsterte: »Kunstbetrachtung ohne Gemälde. Den ›Tanzenden Tiger‹ möchte ich
sehen.«
    »Ich auch.«
    »Pst!«, zischte Kolloschke.
    »Weshalb?«, fragte Tim. »Stören
wir Sie beim Denken?«
    »Die Fragen stelle ich.«
    »Klar doch.«
    Kolloschke machte scheuchende
Handbewegungen, die dem Pärchen galten, das sich

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