Es muss nicht immer Grappa sein
funktionierende russische Kolonie in Bierstadt gibt«, lächelte ich ihn an. »Es muss Sie stolz machen, dass man Sie so verehrt, fast wie einen Patriarchen.«
»In främdem Land gäht man besser zusammen als alleinä«, dröhnte der massige Russe.
»Wenn sich solche Gemeinschaften bilden und auch anerkannt werden, zeigt das doch, dass man in Deutschland gar nicht überall etwas gegen Fremde hat«, redete ich weiter.
Wieder lachte er dröhnend. »Für Anerkennung haben Wlad und Nikita.« Er wies auf die beiden Leibwächter. »Wlad und Nikita säähr gutt für Anerkennung.«
Ich beugte mich vor. »Sagen Sie … diese Maschinenpistolen … das geht doch eigentlich gar nicht in Deutschland. Die stehen doch unter dem Kriegswaffenkontrollgesetz.«
Gogols Gesicht verfinsterte sich. Er schloss die Augen. Auf seiner Stirn entstanden die Alpen und die Karpaten zugleich, so sehr warf sie sich in Falten. Ich war erschrocken.
Er senkte den Kopf wie ein Stier, der den Torero angreift, und kam mir ganz nahe. »Du schweigän?«
Die Antwort fiel mir nicht schwer: »Ich Journalist. Ich immer schweigän.«
»Säähr gutt.« Der russische Pate rückte noch näher und legte mir erstaunlich sanft eine seiner Pranken auf den Arm. Ganz leise sagte er: »Kriegswaffenkontrollgesetz nicht gelten für Waffen aus Gummi. Klein bisschen Theater, Wlad und Nikita, nur hier für meine Leute. Alle wissen und machen mit. Großer Spaß. Aber du schweigän! Wie Journalist! Sonst Nikita und Wlad …« Die Falten auf seiner Stirn legten sich jetzt quer und die Augen lachten mich aus.
Mein Gefühl hatte mich nicht getrogen. Gogols Auftritt war reinste Operette. Der Mann wurde mir sympathisch. Aber ich war noch nicht fertig. »Ich bin zum ersten Mal hier«, sagte ich, »und mir fallen die Fotos an den Wänden auf. Wunderbare, folkloristische Motive aus Ihrer Heimat.«
Kikischka-Baby flüsterte Gogol etwas ins Ohr, er flüsterte zurück. Sie kicherte neckisch und trippelte in Richtung Waschraum. Ihr Gang war nicht mehr elegant.
»Ihre Frau ist sehr hübsch«, sagte ich, ihr nachsehend.
»Ist nicht Frau«, stellte Gogol klar. »Ist Freundin.«
»Und? Was macht sie sonst noch so?«
»Sonst noch so? Freundin von Boris Gogol. Keine Zeit für sonst noch so.«
»Ich kenne sie aus dem Fernsehen«, mischte sich Pöppelbaum ein. Seine Gesichtsfarbe wirkte zum Glück wieder frisch.
»Fern-se-hen?«, dehnte ich.
»Sie kam mir gleich irgendwie bekannt vor«, plauderte Wayne. »Ich wusste nur nicht, woher. Aber eben, als sie kicherte, da fiel es mir wieder ein. Das ist Kiki Moreno, stimmt’s?«
Die Frage war an Gogol gerichtet. Er nickte bedächtig.
»Die Soap, Grappa!«
»Welche Soap?«
» Gute Tage – schlechte Tage. Da macht sie mit. Sie ist Schauspielerin.«
»Also doch etwas sonst noch so«, grinste ich den bulligen Russen an und nahm den Faden wieder auf: »Nebenan hängen ja noch mehr Fotos, die Ihre Heimat zeigen. Die sind aber anders als die hier vorn. Und vielleicht werden sie bald wertvoll sein.«
»Wertvoll? Warum wertvoll?«
»Wenn Künstler sterben, steigen ihre Werke oft im Preis.«
»Wer ist gestorben?«
»Hein Carstens, der Fotograf. Von ihm sind alle Fotos, die nebenan hängen.«
Kiki erschien wieder, hangelte sich zu ihrem Platz durch und setzte sich.
Der Abend endete ohne das Zerschmettern von Wodkagläsern.
Nackt auf weißer Matratze
Ein Taxi brachte mich nach Hause. Doch schlafen konnte ich nicht. Wodka scheint eines der wenigen alkoholischen Getränke zu sein, die wach machten statt müde.
Also googelte ich nach Kiki Moreno. Sie gehörte tatsächlich zum Stammpersonal der Soap-Opera, die seit ewigen Zeiten fast täglich gesendet wurde. Gogols Kikischka war ziemlich bekannt in der Szene. Wenn ich die Inhaltsangaben im Internet richtig interpretierte, mimte Blondie die uneheliche Tochter der seit Jahren im Dschungel verschollenen Mutter, die in Wirklichkeit aber nur das Gedächtnis verloren hatte und unter anderem Namen die Hausdame des in zweiter Ehe mit einer Gräfin verheirateten Vaters war. In der Serie trug Gogols Geliebte den inhaltsschweren Namen Kassandra, der aber zu Sandy verkürzelt wurde. Bürgerlich hieß Kiki Moreno Karin Bauer.
Sie hatte eine eigene Homepage und eine Fangemeinde. In einem Blog im Internet tauschten die Soap-Seher Informationen über die Stars aus. Dabei spielte auch das Privatleben eine Rolle. Ein User namens Franky-Indianer machte mich durch seine Zeilen noch wacher, als ich ohnehin
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