Es muß nicht immer Kaviar sein
kurze Begrüßung gegangen, bei der SS -Obergruppenführer Kaltenbrunner, ein Hüne mit Schmissen im brutal-kantigen Gesicht, Thomas mißtrauisch gemustert hatte. Kaltenbrunner war der Chef des RSHA . In seinem Büro saßen Thomas und Himmler jetzt allein.
Alles in diesem Büro war pompös: die Wandtäfelung, die silbernen Kandelaber, die Möbel. An der Wand hing ein Ölgemälde, darstellend Burgruine über sturmgepeitschter Meeresbrandung.
Der Reichsführer SS und Chef der Deutschen Polizei in der schwarzen Uniform seines Standes sprach: »Also passen Sie mal auf, Lieven: Sie wissen, Ihr Gönner Admiral Canaris ist seit Wochen Privatmann. Sie wissen, daß die ganze militärische Abwehr nunmehr mir untersteht.« Himmler grinste dünn. »Ich habe mich mal mit Ihren Akten beschäftigt. Wissen Sie, was ich eigentlich mit Ihnen tun müßte?«
»Sie müßten mich eigentlich erschießen lassen«, erwiderte Thomas Lieven still.
»Ich? Eh? Was? Jawohl, ganz richtig! Das wollte ich sagen!« Hin und her an seinem Finger drehte Himmler einen schweren Siegelring mit den SS -Runen. Kalt sah er Thomas an. »Will Ihnen eine Chance geben. Eine letzte Chance. Durch die Mission, mit der ich Sie beauftrage, können Sie sich bewähren vor Führer und Volk.«
Ein Telefon läutete. Himmler hob ab und lauschte kurz. Legte auf und sagte: »Feindliche Kampfverbände im Anflug auf die Reichshauptstadt. Kommen Sie in den Keller hinunter.«
Das war die erste Phase des Gesprächs. Zur zweiten kam es in einem tiefen, sicheren Bunker.
Dieweilen Bomberströme ihre tödliche Last über Berlin abwarfen und weniger feine Volksgenossen in weniger feinen Kellern zu Hunderten krepierten, schlug der Reichsführer eine andere Tonart an: »Lieven, Sie sind ein Mann mit pazifistischen Ansichten. Keine Widerrede, ich weiß alles! Um so eher werden Sie mir beipflichten, wenn ich sage: Dieses grauenvolle Blutbad muß ein Ende haben. Wir Abendländer dürfen uns nicht abschlachten, damit die bolschewistischen Untermenschen sich ins Fäustchen lachen.«
Ein schwerer Bombeneinschlag ließ den Bunkerboden leicht schlingern. Das Licht ging aus. Dann ging es wieder an. Thomas sah, daß dem Reichsführer der Schweiß in feinen Tropfen auf der Stirn stand.
Himmler sprach nur noch halblaut: »Ich kämpfe einen schweren Kampf. Auf mir liegt eine ungeheure Verantwortung. Keiner nimmt sie mir ab. Ich allein muß entscheiden.«
Ich, ich, ich, dachte Thomas. Und Hitler? Und Goebbels? Und die andern? Der Herr bereitet wohl einen Separatendspurt vor!
»Üblicherweise würden wir Sie eines Tages als Volksschädling einen Kopf kürzer machen. Ich aber will und werde Sie benützen. Sie sind der beste Mann, den ich finden konnte.« Wieder dröhnte ein Einschlag. Wieder ging das Licht aus. Himmlers Gesicht war nun grau. »Sie kennen jeden Grenzübergang von Spanien nach Portugal, stimmt’s?«
»Ja«, sagte Thomas.
»Gut. Sie bekommen alle Vollmachten. Ich schenke Ihnen die Freiheit, unter der Bedingung, daß Sie einen bestimmten Menschen gesund und unverletzt nach Lissabon bringen. Sie sind doch Bankier, nicht wahr? Mit Ihnen kann man doch über Geschäfte reden – oder?«
»Es kommt darauf an«, sagte Thomas. Und dachte: Also so ist das. Darum braucht er mich. Die Portugiesen haben die diplomatischen Beziehungen zu uns abgebrochen. Die Spanier lassen keinen Deutschen mehr ins Land. Man kann nur illegal hinein. Also darum. Thomas Lievens Lippen waren trocken. Er schwitzte jetzt. Ich bin kein Held, dachte er. Ich bin ganz und gar kein Held. Ich habe Angst. Aber wenn dieser Massenmörder mir jetzt zumutet, daß ich vielleicht
ihn
noch rausbringe – oder jemanden von seinen Verwandten – seinen Freunden …
»Soso, Sie stellen also Bedingungen!« In Himmlers Stimme schwang ein gefährlicher Unterton. »Worauf kommt es an?«
»Wer dieser Mensch ist«, sagte Thomas Lieven leise.
»Dieser Mensch wird Ihnen zweifellos sympathisch sein«, antwortete Himmler. »Er heißt Wolfgang Lenbach und hat ausgezeichnete Papiere auf diesen Namen. In Wahrheit heißt er Henry Booth und ist ein englischer Oberstleutnant. Persönlich bekannt mit Churchill und Montgomery. Hat in Norwegen ein Kommandounternehmen geleitet. Da nahmen wir ihn gefangen …«
7
Einer Riesenfackel gleich brannte Berlin noch Stunden nach der Entwarnung.
Eine hysterische Menschenmenge überschwemmte den Bahnhof. Frauen und Kinder schrien, Männer kämpften um Platz in den Waggons, die ununterbrochen die
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