Es muß nicht immer Kaviar sein
eine Buchprüfung stattgefunden hat! Und weil so ein Scheißbuchhalter meinen Namen gefunden hat, darum!«
Thomas Lievens Gesicht sah plötzlich aus wie das eines Vollkretins. Seine Stimme kam beinahe lallend: »Ein Buchhalter …?«
»Sage ich doch!«
Plötzlich sprang Thomas auf. Er stieß einen heiseren Schrei aus, umarmte Brenner und küßte ihn auf die Stirn. Dann raste er aus dem Büro.
Brenner war blutrot geworden; es hatte ihn noch nie ein Mann geküßt. Er rieb sich die Stirn. »Übergeschnappt«, sagte er konsterniert. »Sonderführer Lieven ist übergeschnappt!«
»Niemals«, sagte der hagere, gelbgesichtige Buchhalter Anton Neuner, »niemals, Herr Lieven, werde ich Ihnen das vergessen!«
»Nun essen Sie, Herr Neuner, Ihre Suppe wird ja kalt«, sagte Thomas. Er hatte den schlichten Neuner zum Essen in seine Villa geladen.
Die Herren kannten sich seit einer Woche. Herr Neuner war bis vor kurzem Buchhalter in der »Intercommerciale SA « des Oskar Lakuleit gewesen. An dem Abend, an dem Thomas bei Lakuleit zu Gast war, hatte dieser seinen Buchhalter telefonisch hinausgefeuert. Damals hatte Thomas zum erstenmal den Namen Neuner gehört. Nach der Steuerwehklage von Major Brenner war er ihm wieder eingefallen.
Gehorsam schlurfte der magere Buchhalter einen Löffel Suppe, dann ließ er denselben wieder sinken und starrte Thomas an wie eine lichte Verheißung. »Ich kann es noch immer nicht fassen! Herr Lakuleit wirft mich hinaus. Er hebt meine U.k.-Stellung auf. Meine Frau weint sich die Augen blind; ich sehe mich bereits in Rußland. Und da tauchen Sie auf, ein völlig fremder Mensch, und vermitteln mir eine U.k.-Arbeitsstelle. Warum nur?«
»Herr Neuner, ich bin Bankier. Ich kenne die ›Intercommerciale‹. Ich weiß, daß Sie ein tüchtiger Mann sind. So was spricht sich herum! Um so weniger verstehe ich, daß Herr Lakuleit Sie hinausgeworfen hat …«
Neuner beugte sich über seinen Teller. In seinem Gesicht zuckte es. »Wegen 18 Mark und 25 Pfennig. Ja, Sie haben recht gehört! Und das, nachdem ich drei Jahre für ihn geschuftet habe.« Neuner berichtete, wie er, als es im Büro einmal spät wurde, in einem Lokal zu Abend gegessen und sich seine Ausgaben, ohne Lakuleit zu fragen, vergütet hatte. Das hatte der Fettwanst herausgefunden. Und ihn sofort hinausgeworfen. »Dabei könnte ich Geschichten erzählen über Geschäfte – über Geschäfte, sage ich Ihnen, Herr Lieven …«
»Interessant.«
»… aber ich tue es nicht. Wie schlecht sich Herr Lakuleit auch gegen mich benommen hat, ich bin kein Verräter …«
Das hübsche Dienstmädchen Nanette brachte das Hauptgericht. Neuner meinte: »Die Suppe war vorzüglich. Hoffentlich gibt es jetzt nichts Gebratenes. Ich bin nämlich krank. Magengeschwüre, wissen Sie.«
»Es gibt ein Täubchen, mit Wasser und Butter gedünstet. Ich habe an Ihre Gesundheit gedacht.«
»Ach, lieber Herr Lieven, was sind Sie für ein wundervoller Mensch!«
»Nicht der Rede wert. Im übrigen, Sie werden bestimmt länger leben als der viel zu dicke Herr Lakuleit. Der Mann überfrißt sich noch, auch an seinen Geschäften …«
»Dieser Mann hat sich bereits überfressen«, stieß Neuner hervor. »Die Autos werden ihm noch einmal den Hals brechen.« Erschreckt hielt er inne.
»Nehmen Sie davon, das ist passierter Blumenkohl. Schmeckt das Täubchen?«
»Köstlich, selbst an der Riviera habe ich nichts Besseres gegessen.«
Es klingelte Alarm in Thomas Lievens Gehirn. Neuner, der schlichte Buchhalter, an der Riviera?
»Ich habe das Rezept von einem Koch im ›Hôtel Negresco‹«, sagte Lieven, »da wohnte ich immer, herrliches Haus …«
Menu • Paris, 14. April 1944
Thomas Lievens Diät bricht jemandem das Genick …
Kalbfleischbouillon mit Toast
Gedünstete Tauben mit Blumenkohl à la Crème
Apfelkompott mit Kirschen
Kalbfleischbouillon:
Man nehme ganz mageres Kalbfleisch und bereite daraus ohne Suppengrün eine Brühe, die man kräftig einkochen läßt und nur ganz schwach salzt. – Man gebe sie in Tassen, mit etwas sehr fein gehackter Petersilie bestreut, zu Tisch und reiche Toast ohne Rinde.
Gedünstete Tauben:
Man nehme gut geputzte und gewaschene junge Tauben und lasse sie in schwach gesalzenem Wasser und einem guten Stück Butter etwa 30 Minuten im geschlossenen Topf auf kleiner Flamme weich dünsten. – Man achte darauf, daß immer so viel Flüssigkeit im Topf ist, daß die Tauben nicht zum Braten kommen.
Blumenkohl à la
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