Es muss nicht immer Mord sein
die
erfolgreichste Figur, die ich bislang erfunden habe — Suzy Seltsam, nach deren
Lieblingsspruch meine mäßig erfolgreiche One-Woman-Show in Edinburgh benannt
war.
Sie ist eine Frau mittleren Alters, die bei
jeder Gelegenheit Verschwörungen wittert und am glücklichsten ist, wenn sie
über Krankheiten reden kann, vorzugsweise tödliche. Ihr Refrain lautet:
»Irgendwas ist da echt seltsam.« Ich weiß wirklich nicht, wo sie eigentlich herkam,
aber Frauen wie ihr kann man an jeder Londoner Bushaltestelle zuhören, wenn man
nur lange genug stehenbleibt.
Martin versuchte, die Seite zu lesen, auf der
ich folgendes notiert hatte:
FREMDER: Diese Aufzüge sind toll, was ?
SUZY SELTSAM: Da wird’s mir schon vom Zusehen
schwindlig.
FREMDER: Schönes Wetter heute.
SUZY SELTSAM: Es heißt, daß man davon Krebs
bekommt.
FREMDER: Tatsächlich?
SUZY SELTSAM: Mit der Ozonschicht geht was
echt Seltsames vor.
FREMDER: Na, ich nehme an, Sie sind dankbar
für die Klimaanlage.
SUZY SELTSAM: Zu kalt für mich. Anscheinend
kriegt man davon die Legionärskrankheit.
»Nein, krieg’ man nich’«, sagte Martin. Er hatte
Schwierigkeiten mit den >t »Das ich weiß ich selber«, sagte ich und
seufzte.
Ich ging ihm Kaffee machen.
»Hältst das eigentlich für eine gute Idee, sich
die Hucke vollzusaufen, wenn man der Boß ist?«
»Besoffen? Moi? Du hättest mal die Japsen
sehen sollen, Soph. Einer von denen ist ohnmächtig geworden und mit dem Kopf in
seine Misosuppe geknallt.«
»Du solltest trotzdem aufpassen, weißt du. Pat
hat mir heute früh erzählt, daß dein Vorgänger wegen Trunksucht gefeuert wurde.
Hast du das gewußt?«
»Nee. Das war’s nich’«, sagte Martin.
»Was war’s denn dann?«
»Kann ich dir leider nich’ erzählen, Soph. Streng
vertraulich.« Er brauchte ein paar Anläufe, um das Wort richtig
herauszukriegen.
»Oh, Herrgott noch mal!« Ich verlor allmählich
die Geduld mit ihm.
Er kicherte und legte einen Finger an die
Lippen.
»Da kannse noch son Aufstand machen, meine
Lippen sin’ versiegelt.«
»Ach, werd’ doch endlich erwachsen!« sagte ich
und ging zurück an meine Notizen.
Als ich zu Hause ankam, fühlte ich mich ein
bißchen durcheinander. Auf dem Anrufbeantworter waren keine Nachrichten, was
die Sache nicht gerade besser machte. Ich rief meine Mutter an, um zu fragen
wie es Reg ging, aber anscheinend war sie im Krankenhaus, denn niemand nahm ab.
Es war noch hell, also goß ich mir ein Glas Weißwein ein und setzte mich auf
meine Dachterrasse, um darüber nachzudenken, warum ich mich so gereizt fühlte.
Es war ein Sommerabend, und während es
allmählich dunkel wurde, konnte ich Vogelgezwitscher hören — meines Erachtens
einer der schönsten Züge eines englischen Sommers. Er ist nicht ganz so schön
wie das Grillenzirpen, das sich in Mittelmeerländern nach Einbruch der
Dunkelheit einstellt, aber er beschwört auf angenehme Weise etwas herauf —
Kindheitserinnerungen möglicherweise, wie man im Bett gelegen hat, während es
noch hell war und von unten Gespräche aus den Nachbarsgärten heraufschwebten,
zusammen mit dem schweren Aroma von Phlox und Tabakpflanzen. Ich hatte mich
immer unter meinem Baumwollaken herumgewälzt, unfähig einzuschlafen, voller
Sehnsucht, bei den Erwachsenen zu sein. Wenn es das Wetter zuließ, hatten Reg
und meine Mutter ihre Abende in einer gelb-weiß gestreiften Hollywoodschaukel
auf der Veranda vor den Terrassentüren zugebracht, direkt unter dem Fenster
meines Schlafzimmers. Ich höre noch immer das Gemurmel ihrer spätabendlichen
Gespräche und das Knacken der Eiswürfel, wenn die Gin-Tonics in ihren hohen
Gläsern allmählich warm wurden, und ich kann noch immer die Frustration spüren,
mich nicht zu ihnen gesellen zu dürfen, obwohl ich nicht im geringsten müde
war, und daran, wie ich ganz sanft vom Vogelgezwitscher aus der Rotbuche am
Ende des Gartens eingelullt wurde, bis ich schließlich eindöste.
Meine friedvollen Erinnerungen wurden jäh von
einer Frauenstimme unterbrochen, die unten im Haus »Ich verlaß’ dich, du
Scheißkerl!« kreischte.
Eine Tür knallte, dann sagte eine Männerstimme:
»Na prima, dann verpiß dich doch, du Schlampe.«
Ich schaute über die Brüstung meiner Terrasse.
Ich wohne im obersten Geschoß eines vierstöckigen viktorianischen Reihenhauses
in Primrose Hill. Im Erdgeschoß ist ein Waschsalon, und zwischen ihm und mir
liegen zwei kürzlich renovierte Wohnungen.
Eine
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