Es muss nicht immer Mord sein
regelmäßig »Das
Generationenspiel« angesehen, als ich noch ein Kind war. Reg und ich hatten uns
sogar einmal als Kandidaten bewerben wollen (Greg würde sich als mein Onkel
ausgeben, hatten wir beschlossen, weil sie den Liebhaber einer Mutter vermutlich
nicht akzeptieren würden), aber den Ehrgeiz, so etwas zu moderieren, hatte ich
schon damals nicht verspürt und heute erst recht nicht, ganz egal, wie sehr
Mars das Konzept mit Begriffen wie >parodistisch< und >postmodern<
aufzumotzen versuchte.
Mars brachte mich zur Tür und setzte mich in ein
Taxi.
»Ich ruf dich morgen früh als allererstes an,
und dann können wir übers Geld reden«, sagte er.
»Prima«, sagte ich, weil so unsere Treffen immer
endeten.
Sein nächster Satz war gewöhnlich »Hab’ ich dir
eigentlich schon gesagt, wie wundervoll du aussiehst?« Das war dann mein
Stichwort zu erröten und die Taxitür zuzumachen, er verschwand in der Drehtür
des Clubs, und ein paar Monate lang hörte ich dann gewöhnlich nichts mehr von
ihm.
Ich war ziemlich geschockt, wie gealtert Reg
wirkte. Ich hatte ihn zuletzt vor knapp zwei Wochen gesehen, und da hatte er
beim Aufschneiden des Sonntagsbratens eine höchst robuste Figur abgegeben. Ich
konnte ihn noch genau vor mir sehen, wie er seine Portion Yorkshire-Pudding mit
einer langen, zweizinkigen Gabel aufspießte und damit in der Luft
herumfuchtelte, während er eine emotionsgeladene Rede über die Hundekacke auf
den Bürgersteigen von Pinner hielt. Vielleicht war er einfach zu aufgeregt gewesen, dachte ich. Zu aufgeregt und regte sich zu wenig. Oder
vielleicht hatte ihm all das dunkle Fleisch mit Bratensoße die Arterien verstopft.
Er machte ein Nickerchen als ich hereinkam, und
sein Gesicht sah sehr verletzlich und grau aus auf der weißen
Krankenhausbettwäsche. Ich fragte mich, ob ich ihn wecken solle. Es schien eine
Schande, ihn zu stören, aber andererseits war ich von ziemlich weit her
gekommen. Ich rückte einen Stuhl neben das Bett, setzte mich und entfaltete
meinen Evening Standard. Sehr rasch wurde mir klar, daß der junge
Krankenpfleger, der die Laken des Betts gleich nebenan wechselte, mich
beobachtete.
»Lassen Sie mich raten... Ich würde sagen, Sie
sind Jungfrau.«
Ich setzte mich erschrocken auf und fragte mich,
wie um alles in der Welt er wissen konnte, daß ich gerade die Horoskopseite
aufgeschlagen hatte.
»Das glauben Sie bloß«, erwiderte ich.
»Genaugenommen bin ich...«
»Nein, sagen Sie’s nicht... Steinbock.«
»Nein.«
»Sind Sie sich da sicher?«
»Ja, absolut.« Wenn er nicht so unheimlich gut
ausgesehen hätte, würde ich das Spielchen bereits übergehabt haben.
Selbstverständlich glaube ich nicht an Horoskope. (Obschon ich bemerkt habe,
daß Patric Walkers Vorhersagen manchmal erschreckend treffend sind...)
»Ich weiß schon... Sie müssen Fisch sein.«
Ich versuchte mich zu erinnern, wie die
Charakterzüge des typischen Fisches aussahen und zu entscheiden, ob ich mich
nun geschmeichelt oder beleidigt fühlen sollte.
»Nein. Ich bin...«
»Nein, sagen Sie’s nicht. Ich kann echt gut
raten.«
»Können Sie nicht. Bei mir haben Sie schon
dreimal danebengehauen.«
»Dann also Widder — die sind ungeduldig.«
»Nein«, sagte ich ungeduldig.
»Löwe?«
»Ach, um Himmelswillen.« Inzwischen lachten wir
beide.
»Na schön, dann erzählen Sie’s mir eben.«
»Wassermann«, sagte ich, und dabei schoß mir
eine kurze, ungebetene, alberne Hoffnung durch den Kopf, daß sein Sternzeichen
sich damit irgendwie vertrug. Im Geiste trampelte ich sie platt.
»Wußt’ ich’s doch!« sagte er. »Die sind schwer
zu bestimmen. Immer am schwierigsten zu raten. Sehr schwer festzulegen.« Er
nickte in Regs Richtung. »Sie müssen seine Tochter sein, Sophie. Ich hab’ viel
von Ihnen gehört.«
»Haben Sie?« Es überraschte mich, daß Reg über
mich gesprochen hatte, und ich war ziemlich gerührt, daß er mich als seine
Tochter bezeichnete. Genaugenommen war ich mit Reg weder im biologischen noch
im juristischen Sinn verwandt. Er war seit rund zwanzig Jahren der
Lebengefährte meiner Mutter, aber sie hatten nie geheiratet. Mein wirklicher
Vater war mit einer Kellnerin nach Paris durchgebrannt, als ich noch ein Kind
war. Ich glaube, meine Mutter hatte extreme Vorbehalte dagegen, noch einmal zu
heiraten, aber mit der Zeit gehörte Reg mehr oder weniger zum Haushalt. Obschon
er nie versucht hat, die Vaterrolle zu übernehmen, ist er immer sehr nett und
großzügig zu mir
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