Es muss nicht immer Mord sein
wäre am Ende der Fährte angelangt. Aber inzwischen
hatte ich so viel Energie in die ganze Unternehmung investiert, daß ich nicht
einfach aufgeben konnte.
Na ja, das ist der Punkt, wo ich zu ein bißchen
faulen Methoden griff. Der einzige Mensch, von dem ich definitiv wußte, daß er
die Information besitzen würde, die ich wollte, war die Mutter von Liz. Aber
ich wußte aus Erfahrung, daß sie nicht mit mir reden würde.« Ich zögerte und
fragte mich, ob ich Charlotte die ganze Wahrheit enthüllen sollte. Aber ich war
schon so weit gegangen, daß ich jetzt wirklich nicht aufhören konnte. Ich holte
tief Luft.
»Also mußte ich vorgeben, jemand anders zu sein.
Ich bin ziemlich gut darin, meine Stimme zu verstellen. Ich dachte lange
darüber nach und probte. Schließlich rief ich sie an und gab vor, eine
übellaunige Beamtin bei der Sozialbehörde von East Anglia zu sein. Ich wußte,
daß sie die Art von Mensch war, der Autorität respektieren würde. Ich erzählte
ihr, daß wir gerade die Adoptionsakten in den Computer eingäben, aber einige
unserer Informationen fehlen würden. Ich ging die Details durch, die ich auf
dem Adoptionszertifikat gefunden hatte, also hielt sie mich für echt, und dann
fragte ich nach den Adoptiveltern. »Dr. und Mrs... aus Norwich, richtig?« sagte
ich. »Nein«, sagte sie. »Sie waren aus Ipswich.« Bingo!
»Sie haben also mit meinen Eltern gesprochen?«
sagte Charlotte.
»Nein«, erwiderte ich. »Na schön, ja. Aber sie
wußten nicht, wer ich war. Ich fürchte, ich habe gelogen, als ich mit Ihrer
Mutter sprach. Sie war genaugenommen sehr hilfsbereit. Sie hat es mir sehr
einfach gemacht.«
Ich hatte mich damals ein wenig dafür geschämt.
Ich rief an und erzählte ihr, ich sei eine Freundin von Charlotte, die sie aus
den Augen verloren habe.
»Von der Universität?« hatte sie gefragt.
»Ja«, stimmte ich zu und hoffte, daß sie mich
weiterbringen würde.
»Oh, ja, ich glaube, ich kann mich erinnern, daß
Charlotte von Ihnen gesprochen hat«, sagte sie höflich.
Sie gab mir einen kurzen Abriß von Charlottes
weiterem Studium und ihre Telefonnummer.
»Na ja, und als ich herausgefunden habe, daß Sie
in Paris studieren, schien es vom Schicksal vorbestimmt, daß wir uns treffen
sollten«, sagte ich und trank den Rest meines Kirs aus. »Die Symmetrie der
Sache — ich finde meinen Vater, und Sie finden Ihre Mutter — war zu
eindrucksvoll, um ihr zu widerstehen. Also habe ich meinen Job gekündigt und
kam schließlich nach Paris. Und da sind wir nun...«
Meine Geschichte vertröpfelte. Ich schaute
hoffnungsvoll über den Tisch und wartete auf Charlottes Reaktion.
»Sie haben sich eine fürchterliche Mühe
gemacht«, sagte sie schließlich. »Ich wünschte, ich könnte einfach sagen: Ja,
ich möchte zu gern meine richtige Mutter kennenlernen, und herzlichen Dank
auch. Aber das kann ich nicht. Ich muß das alles überdenken.«
Ich muß ein langes Gesicht gemacht haben, denn
sie fügte rasch hinzu: »Ich bin Ihnen sehr dankbar. Und es war auch wirklich
schön, Sie kennenzulernen. Aber Sie müssen verstehen, daß das alles ein bißchen
seltsam für mich ist.«
Ich konnte verstehen, wieso sie an der Sorbonne
war und im fortgeschrittenen Semester Philosophie studierte. Sie verstand
komplexe Dinge auf der Stelle, aber sie ging mit einem durchdachten,
ernsthaften Ansatz daran.
Ich konnte nicht verbergen, daß ich fürchterlich
enttäuscht war. Ich wünschte sie mir impulsiv und aufgeregt, daß sie eine
Flasche Champagner bestellte und auf wieder zusammengeführte Familien anstieß.
Statt dessen griff sie nach ihren Zigaretten und der Handtasche, begann ihre
Handschuhe überzustreifen und rief den Kellner herbei, um die Rechnung zu
bezahlen.
Wir gingen ein kleines Stück zusammen die Straße
hinunter.
»Es könnte Dinge geben, die ich Sie fragen muß«,
sagte sie. »Darf ich Sie anrufen?«
»Natürlich«, sagte ich.
Wir trennten uns an der Metro.
Ich ging zurück zum Appartement meines Vaters
und betrank mich mit ihm und seiner großen Liebe bis zum Umfallen. Morgens um
drei kamen wir alle miteinander zu dem Schluß, daß Charlotte eine undankbare,
phantasielose, hochnäsige Kuh war, die besser daran tun würde, ein wenig über
das Leben zu lernen, statt Philosophie zu studieren.
Kapitel Fünfundzwanzig
Ich erwachte
vom Klingeln des Telefons. Ich
rappelte mich vom Sofa hoch und schleppte mich in die Küche. An einer leeren
Calvados-Flasche lehnte eine
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