Es: Roman
einen Blick in Georgies Zimmer. Ich möchte dieses Foto sehen. Was hältst du davon?«
Bill sah Richie entsetzt an. Er versuchte zu sprechen, brachte aber kein Wort hervor, denn er war jetzt zu aufgeregt. Stattdessen schüttelte er heftig den Kopf.
»Du hast Bens Geschichte gehört. Und Eddies. Glaubst du an das, was sie gesagt haben?«
Bill dachte darüber nach. »I-I-Ich w-w-weiß n-nicht«, sagte er schließlich. »Ich d-d-denke, dass sie e-etwas g-g-gesehen haben m-m-m-müssen.«
»Ja«, sagte Richie. »Das glaube ich auch. Und all die Kinder, die ermordet worden sind. Ich denke mir, dass sie vielleicht auch etwas gesehen haben. Der einzige Unterschied zwischen diesen Kindern und Eddie und Ben besteht darin, dass Eddie und Ben nicht erwischt wurden.«
Bill hob die Augenbrauen, zeigte aber keine große Überraschung. Das hatte Richie auch nicht erwartet. Er hatte vermutet, dass Bill mit seinen Überlegungen selbst schon so weit gekommen war. Er konnte zwar nicht gut reden, aber er war alles andere als ein Dummkopf.
»Und jetzt denk mal weiter, Big Bill«, sagte Richie. »Ein Mann könnte sich mit einem Clownskostüm verkleiden und Kinder ermorden. Ich weiß zwar nicht, wozu er das tun sollte, aber niemand kann sagen, was sich im Kopf eines Irren anspielt, richtig?«
»R-R-Ri…«
»Richtig. Der Unterschied zum Joker in einem Batman-Comic ist nicht allzu groß.« Darüber zu reden, seine eigenen Ideen auszusprechen, erregte Richie. Er fragte sich kurz, ob er tatsächlich etwas zu beweisen versuchte oder nur einen Wortschwall von sich gab, um das Zimmer und dieses Schulfoto sehen zu können. Aber seine Motive waren letztlich vielleicht gar nicht so wichtig. Bills Augen vor Aufregung strahlen zu sehen, reichte ihm vielleicht schon.
»A-A-Aber wie p-passt das F-F-Foto da hinein?«, fragte Bill.
»Was glaubst du denn, Billy?«
Leise, ohne Richie anzuschauen, erwiderte Bill, er glaube, dass es überhaupt nichts mit den Morden zu tun habe. »Ich g-g-glaube, dass ich Georgies G-G-G-Geist gesehen habe.«
»Auf einem Foto?«
Bill nickte.
Richie dachte darüber nach. Die Vorstellung von Geistern bereitete seinem kindlichen Verstand nicht die geringsten Schwierigkeiten. Er war sich sicher, dass es so etwas gab. Seine Eltern waren Methodisten, und Richie ging jeden Sonntag in die Kirche und donnerstags abends obendrein zum Treffen der Methodistischen Jugend. Er wusste schon viel über die Bibel, auch dass die Bibel an alle möglichen unheimlichen Sachen glaubte. Laut der Bibel war Gott selbst zumindest zu einem Drittel Geist, und das war nur der Anfang. Man konnte sehen, dass die Bibel an Dämonen glaubte, weil Jesus einem Typen ein paar davon austrieb. Noch dazu richtig fiese. Als Jesus den Typen, der sie hatte, nach seinem Namen fragte, antwortete dieser ihm, er solle doch zur Fremdenlegion gehen. Oder so ähnlich. Die Bibel glaubte an Hexen, warum sonst stand darin: »Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen«? Manches in der Bibel war sogar besser als das Zeug in den Horror-Comics. Leute wurden in Öl gekocht oder hängten sich auf wie Judas Ischariot; die Geschichte, wie der böse König Ahas vom Turm fiel und die Hunde kamen und sein Blut aufleckten; die Massenmorde an Babys, welche die Geburt von Moses und Jesus begleitet hatten; Typen, die aus den Gräbern kamen oder durch die Luft flogen; Soldaten, die Mauern einhexten; Propheten, die die Zukunft sahen und gegen Ungeheuer kämpften. Das stand alles in der Bibel, und jedes Wort davon stimmte, sagte Reverend Craig, sagten Richies Eltern, sagte Richie. Er war durchaus bereit, Bills Erklärung zu glauben; nur die Logik machte ihm Probleme.
»Aber du sagtest doch, du hättest Angst gehabt«, sagte Richie. »Warum sollte Georgie dir denn Angst einjagen wollen, Bill?«
Bill fuhr sich mit der Hand über den Mund. Seine Hand zitterte dabei. »Er ist v-vielleicht w-w-wütend auf mich«, sagte er. »W-W-Weil er ermordet wurde. Es war m-m-m-meine Schuld. Ich hab ihn m-mit dem B-B-B-B …« Er brachte das Wort »Boot« nicht heraus, deshalb machte er mit der Hand Wellenbewegungen. Richie nickte, um zu zeigen, dass er verstanden hatte, was Bill meinte … nicht, weil er ihm recht gab.
»Das glaube ich nicht«, wandte er dann ein. »Wenn du ihn von hinten erstochen oder ihn erschossen hättest, wäre es etwas anderes. Auch wenn du ihm eine geladene Waffe deines Vaters zum Spielen gegeben hättest, und er sich dann damit erschossen hätte, sähe das anders aus. Aber
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