Es: Roman
geheißen hatte, aber sie erinnerte sich daran, wie Bills Blick sich für einen Moment mit dem ihrigen getroffen hatte, und sie erinnerte sich an den elektrischen Schlag, den ihr dieser Blick versetzt hatte … und an den heißen Schauder am ganzen Körper.
Sie erinnert sich daran, dass sie an all diese Dinge dachte, als sie ihr Nachthemd anzog und ins Bad ging, um sich das Gesicht zu waschen und die Zähne zu putzen. Sie dachte, dass es bestimmt lange dauern würde, bis sie einschlafen würde, weil sie über so vieles nachdenken musste … und dass es schön war, daran zu denken, denn es schienen sehr nette Jungen zu sein, Kinder, mit denen man spielen und denen man vielleicht sogar ein bisschen vertrauen konnte. Das wäre schön. Es wäre … nun ja, es wäre einfach himmlisch.
Und während sie all das dachte, griff sie nach ihrem Waschlappen und beugte sich über das Waschbecken, und die Stimme
2
kam flüsternd aus dem Abfluss:
»Hilf mir …«
Beverly fuhr erschrocken zurück, der trockene Waschlappen fiel auf den Boden. Sie schüttelte den Kopf, so als wollte sie ihn klar bekommen, dann beugte sie sich wieder über das Becken und sah neugierig in den Abfluss. Das Bad befand sich am Ende ihrer Vierzimmerwohnung. Sie hörte schwach, dass im Fernsehen irgendein Western gezeigt wurde. Danach würde ihr Vater wahrscheinlich auf ein Baseballspiel oder einen Boxkampf umschalten und in seinem Sessel einschlafen.
Die Badtapete hatte ein scheußliches Muster: Frösche auf Wasserlilienblättern. Sie wellte sich über dem unregelmäßigen Verputz, hatte Wasserflecken und löste sich stellenweise von der Wand. Die Badewanne hatte Rostflecken, der Toilettensitz war gesprungen. Eine nackte 40-Watt-Birne war in die Porzellanfassung über dem Waschbecken eingeschraubt. Beverly erinnerte sich vage daran, dass es hier einmal eine richtige Lampe gegeben hatte, aber der Schirm war vor einigen Jahren zerbrochen und nie ersetzt worden. Der Fußboden war mit Linoleum bedeckt, dessen Muster völlig ausgeblichen war, abgesehen von einem kleinen Stück unter dem Waschbecken.
Es war kein sehr ansprechendes Bad, aber Beverly benutzte es schon so lange, dass ihr das nicht mehr auffiel.
Auch das Waschbecken hatte Flecken. Der Abfluss war rund und hatte einen Durchmesser von etwa fünf Zentimetern. Früher hatte er noch eine Chromeinfassung gehabt, aber auch die war schon seit langer Zeit kaputt. Ein Gummistöpsel war an einer Kette ganz zweckmäßig um den Kaltwasserhahn gewickelt. Das Abflussloch war schwarz, und als Beverly sich dicht darüberbeugte, fiel ihr zum ersten Mal der unangenehme Geruch auf – ein leichter Fischgestank -, der aus dem Abflussrohr aufstieg. Sie rümpfte angeekelt die Nase.
»Hilf mir …«
Sie schnappte nach Luft. Das war eine Stimme. Sie hatte an ein Rasseln in den Rohren gedacht … oder es für reine Einbildung gehalten … hervorgerufen durch die Horrorfilme …
»Hilf mir, Beverly …«
Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt. Sie hatte das Gummiband aus ihrem Haar gelöst, und nun fiel es ihr in roten Wellen über die Schultern. Sie spürte, wie es sich an den Wurzeln sträubte.
Ohne zu überlegen, was sie tat, beugte sie sich wieder über das Becken und flüsterte halblaut: »H-Hallo! Ist dort jemand?« Die Stimme aus dem Abfluss hatte einem Kind gehört, einem sehr kleinen Kind, das vermutlich erst vor Kurzem sprechen gelernt hatte. Und trotz der Gänsehaut auf ihren Armen suchte sie nach einer rationalen Erklärung. Dies hier war ein Mietshaus. Die Marshs hatten die hintere Wohnung im Erdgeschoss. Es gab noch vier weitere Wohnungen. Vielleicht vergnügte sich in einer dieser Wohnungen ein Kind damit, in die Abflussrohre zu rufen. Und irgendein akustischer Trick …
»Ist dort jemand?«, rief sie wieder in den Abfluss, diesmal etwas lauter. Plötzlich fiel ihr ein, dass ihr Vater sie für verrückt halten würden, wenn er jetzt hereinkäme.
Es kam keine Antwort aus dem Abfluss, aber der unangenehme Geruch schien stärker zu werden. Er erinnerte sie an den Bambusstreifen in den Barrens und an die Müllhalde dahinter; an langsam aufsteigende beißende Rauchwolken und schwarzen Morast, der einem die Schuhe von den Füßen ziehen wollte.
Die Sache war nur, dass es im ganzen Haus keine Kinder in dem Alter gab. Die Tremonts hatten einen fünfjährigen Jungen und zwei Mädchen – eines drei Jahre, das andere sechs Monate alt – gehabt, aber Mr. Tremont hatte seine Arbeitsstelle im
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