Es: Roman
Schuhgeschäft in der Tracker Avenue verloren, sie waren mit der Miete in Rückstand geraten und eines Tages kurz vor Ferienbeginn in Mr. Tremonts rostigem altem Buick verschwunden. In der vorderen Wohnung im ersten Stock gab es noch Skipper Bolton, aber der war schon 14 Jahre alt.
»Wir alle wollen dich kennenlernen, Beverly …«
Sie hielt sich die Hand vor den Mund und riss entsetzt die Augen auf. Einen Augenblick – Bruchteile von Sekunden – lang glaubte sie, dort unten eine Bewegung gesehen zu haben. Ihr wurde plötzlich bewusst, dass ihre Haare ihr in zwei dicken Strähnen über die Schultern fielen und nahe – sehr nahe – über dem Abflussloch hingen. Irgendein Instinkt riet ihr plötzlich, sich aufzurichten und sie zurückzustreichen.
Sie schaute sich um. Die Badtür war fest geschlossen. Sie hörte, wie im Fernseher Cheyenne Bodie den Bösewicht gerade aufforderte, die Pistole wegzustecken, bevor jemand verletzt würde. Sie war allein. Abgesehen von jener Stimme.
»Wer bist du?«, rief sie leise in den Abfluss hinein.
»Matthew Clements«, flüsterte die Stimme. »Der Clown hat mich hierher in die Abflussrohre mitgenommen, und ich bin gestorben, und sehr bald wird er kommen und auch dich holen, Beverly, und Ben Hanscom und Bill Denbrough und Eddie …«
Sie presste ihre Hände an die Wangen. Ihre Augen wurden größer, immer größer. Sie spürte, wie ihr ganzer Körper eiskalt wurde. Die Stimme im Abfluss klang jetzt alt und erstickt … aber immer noch war da dieser Unterton einer verderbten Fröhlichkeit.
»Du wirst hier unten mit deinen Freunden fliegen, Beverly, wir alle fliegen hier unten, sag Bill, dass Georgie ihn grüßt, sag Bill, dass Georgie ihn vermisst, dass sie sich aber bald wiedersehen werden, sag ihm, dass Georgie eines Abends im Schrank sein wird, um ihm ein Stück Klaviersaite ins Auge zu stechen, sag ihm …«
Die Stimme ging in einen erstickten Schluckauf über, und plötzlich stieg eine grellrote Blase aus dem Abfluss auf und zerplatzte; Blutstropfen spritzten auf das fleckige Porzellanbecken. Die erstickte Stimme sprach jetzt ganz schnell und veränderte sich mitten im Reden: Einmal war es die Stimme des kleinen Kindes, die sie zuerst gehört hatte, dann die eines Mädchens im Teenageralter, dann – und das war besonders schrecklich! – die eines Mädchens, das Beverly gekannt hatte … Veronica Grogan. Aber Veronica war tot, sie war tot in einem Abwasserkanal gefunden worden …
»Ich bin Matthew … ich bin Betty … ich bin Veronica … wir sind hier unten mit dem Clown … und dem Schrecken vom Amazonas … und der Mumie … und dem Werwolf … und mit dir, Beverly, wir sind hier unten mit dir, und wir fliegen, und wir verändern uns …«
Eine schreckliche Blutfontäne stieg aus dem Abfluss empor und bespritzte das Waschbecken und den Spiegel und die Tapete mit dem Frosch-auf-Lilienblättern-Muster. Beverly schrie plötzlich gellend auf. Sie wich von dem Waschbecken zurück, prallte gegen die Tür, riss sie auf und rannte blindlings ins Wohnzimmer, wo ihr Vater gerade aufgesprungen war.
»Was zum Teufel ist denn mit dir los?«, fragte er mit hochgezogenen Brauen. Die beiden waren an diesem Abend allein zu Hause. Beverlys Mutter hatte in dieser und der nächsten Woche die Schicht von drei bis elf im »Green’s Farm«, Derrys bestem Restaurant.
»Das Bad!«, schrie Beverly hysterisch. »Das Bad, Daddy, im Bad …«
»Hat jemand durchs Fenster geschaut, Beverly? War’s so?« Sein Arm schoss vor, und seine Hand packte sie schmerzhaft fest am Oberarm. Besorgnis war in seinem Gesicht zu sehen, aber es war die Besorgnis eines Raubtiers und eher furchterregend als beruhigend.
»Nein … der Abfluss … im Abfluss … die … die …« Aber sie brachte nichts mehr hervor; sie brach in hysterisches Weinen aus. Ihr Herz dröhnte so laut in ihrer Brust, dass sie zu ersticken glaubte.
Al Marsh schob sie mit einem »O-mein-Gott-was-kommtals-Nächstes«-Gesichtsausdruck beiseite und ging ins Bad. Er hielt sich so lange dort auf, dass Beverly wieder Angst bekam.
Dann brüllte er: »Beverly! Komm sofort her, Mädchen!«
Unmöglich, dem Befehl nicht Folge zu leisten. Wenn sie zusammen am Rand eines hohen Felsens gestanden hätten, und er ihr befohlen hätte hinabzuspringen – jetzt gleich, Mädchen! -, so hätte ihr instinktiver Gehorsam sie bestimmt dazu getrieben, wirklich hinabzuspringen, noch bevor ihr Verstand sie daran hätte hindern können.
Die Badezimmertür
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