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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sagte sie, zögerte einen Moment und überwand ihre Hemmungen. »Ich brauche deine Hilfe.«
    Nach kurzem Schweigen rief Kay hellwach: »Wo bist du? Was ist passiert?«
    »Ich bin im ›Seven-Eleven‹ an der Ecke Streyland Avenue und irgendeiner anderen Straße. Ich … Kay, ich habe Tom verlassen.«
    Kay, nachdrücklich und aufgeregt: »Gut! Endlich! Hurra! Ich komme und hole dich ab! Dieser Dreckskerl! Dieses verdammte Stück Scheiße! Ich hol dich mit meinem Mercedes ab! Ich engagiere eine vierzigköpfige Musikkapelle! Ich …«
    »Ich nehme ein Taxi«, sagte Bev, die beiden restlichen Münzen in der verschwitzten Hand. In dem runden Spiegel im Hintergrund des Geschäfts konnte sie sehen, dass der pickelige Verkäufer verträumt auf ihren Hintern starrte. »Aber du wirst für mich bezahlen müssen. Ich hab kein Geld. Keinen Cent.«
    »Ich werd dem Fahrer fünf Dollar Trinkgeld geben«, rief Kay. »Das ist die beste Neuigkeit seit Nixons Rücktritt! Komm so schnell wie möglich her, Mädchen! Und …« Sie verstummte, und als sie dann fortfuhr, klang ihre Stimme ernst und so fürsorglich und liebevoll, dass Beverly fast die Tränen kamen. »Und Gott sei Dank, dass du’s endlich getan hast, Bev. Ich meine es so, wie ich sage: Gott sei’s gedankt.«
    Kay McCall war eine ehemalige Designerin, die reich geheiratet hatte, durch die Scheidung noch reicher geworden war und im Jahre 1972 plötzlich ihr Interesse für feministische Bestrebungen entdeckt hatte – drei Jahre, bevor Bev sie kennenlernte. Zur Zeit ihrer größten Popularität (oder Kontroversen) wurde sie beschuldigt, sich dem Feminismus zugewandt zu haben, nachdem sie sich zuvor chauvinistischer Gesetze bedient hatte, um ihren Fabrikanten-Ehemann legal um jeden nur möglichen Cent zu erleichtern.
    »Blödsinn!«, hatte sich Kay einmal gegenüber Bev Luft gemacht. »Die Leute, die diesen Scheiß verzapfen, mussten nie mit Sam Chacowicz ins Bett gehen. Zwei Stöße, ein Kribbeln und ein Abspritzen, das war Sammys Motto. Auf mehr als siebzig Sekunden brachte er’s nur, wenn er sich selbst in der Badewanne einen abwichste. Ich hab ihn nicht ausgenommen; ich hab mir nur rückwirkend meinen Anteil geholt.«
    Sie schrieb drei Bücher: eins über Feminismus und Frauen im Job, eins über Feminismus und Familie und eins über Feminismus und Spiritualität. Die ersten beiden wurden ziemlich populär. In den letzten drei Jahren seit ihrem letzten Buch war sie ein wenig aus der Mode gekommen, und Beverly glaubte, dass sie insgeheim darüber erleichtert war. Sie hatte ihr Geld gut investiert (»Feminismus und Kapitalismus schließen einander nicht zwangsläufig aus, meine Liebe«, hatte sie Bev einmal erklärt), und nun war sie eine reiche Frau mit Stadthaus, Landhaus und zwei oder drei Liebhabern, die männlich genug waren, um sie im Bett befriedigen zu können, die aber nicht männlich genug waren, sie im Tennis zu besiegen. »Wenn sie das schaffen, lasse ich sie fallen wie eine heiße Kartoffel«, erklärte Kay einmal. Und obwohl es von Kays Seite als Scherz gemeint war, zweifelte Bev nicht am Wahrheitsgehalt der Aussage.
    Beverly rief ein Taxi, und als es kam, setzte sie sich mit ihrem Koffer auf den Rücksitz und nannte dem Fahrer Kays Adresse, froh, den lüsternen Blicken des Verkäufers entkommen zu sein.
    Kay wartete am Ende der Auffahrt. Über ihrem Nachthemd trug sie einen Nerzmantel und die Füße steckten in pinkfarbenen Pantöffelchen mit großen Pompons. Zum Glück waren diese Pompons nicht orangefarben – sonst wäre Bev wahrscheinlich wieder schreiend in die Nacht gelaufen. Die Fahrt zu Kay war seltsam gewesen: Erinnerungen brachen über sie herein, in so rascher Folge und so klar, dass es sie ängstigte. Es fühlte sich an, als würde ein großer Bulldozer in ihrem Kopf ein mentales Grab ausheben, von dem sie nicht einmal gewusst hatte, dass es existierte. Nur dass Namen statt Leichen zum Vorschein kamen, Namen, an die sie seit Jahren nicht mehr gedacht hatte: Ben Hanscom, Richie Tozier, Greta Bowie, Henry Bowers, Eddie Kaspbrak … Bill Denbrough. Besonders Bill – Stotter-Bill, wie sie ihn damals mit jener kindlichen Offenheit genannt hatten, die manchmal als Aufrichtigkeit, manchmal als Grausamkeit bezeichnet wird. Er war ihr damals so groß vorgekommen, so vollkommen (das heißt, bis er den Mund aufmachte und zu reden begann).
    Namen … Orte … Ereignisse …
    Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt, als sie sich an die Stimmen im Abfluss erinnerte

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