Es: Roman
mach’s kurz.«
»Da war …« Sie schluckte, und das tat weh, weil ihre Kehle völlig trocken war. »Da war eine Spinne. Eine große, fette schwarze Spinne. Sie … sie kroch aus dem Abfluss, und ich … ich nehme an, dass sie wieder runtergekrochen ist.«
»Oh!« Jetzt lächelte er ihr zu. Diese Erklärung schien ihm zu gefallen. »Das war’s also? Verdammt! Wenn du mir das gleich erzählt hättest, Beverly, hätte ich dich nicht geschlagen. Alle Mädchen haben Angst vor Spinnen. Warum hast du denn den Mund nicht aufgemacht?«
Er beugte sich über den Ablauf, und sie musste sich auf die Lippe beißen, um ihm keine Warnung zuzurufen … aber tief in ihrem Innern hörte sie noch eine andere Stimme, eine schreckliche Stimme, die nicht ihr gehören konnte; es musste die Stimme des Teufels höchstpersönlich sein: Lass es ihn packen, wenn es ihn haben will. Dann bist du ihn los!
Sie war entsetzt über diese Stimme. Solche Gedanken in Bezug auf den eigenen Vater zu haben war sündhaft; sie würde dafür bestimmt in die Hölle kommen.
Al Marsh beugte sich tief über das Waschbecken und starrte in den Abfluss. Seine Hände fassten in das Blut am Waschbeckenrand. Beverly konnte nur mit Mühe einen Schrei unterdrücken. Ihr Magen schmerzte von dem Boxhieb ihres Vaters.
»Ich kann nichts sehen«, sagte er. »Diese ganzen Häuser sind alt, Beverly. Große dicke Abflussrohre. In der alten Highschool, wo ich Hausmeister war, schwammen ab und zu ertrunkene Ratten in den Kloschüsseln. Es machte die Mädchen ganz verrückt.« Er lachte amüsiert über diese weibliche Schwäche. »Hauptsächlich, wenn der Kenduskeag viel Wasser führte. Es ist besser geworden, seit wir das neue Abwassersystem haben.«
Er legte einen Arm um sie und drückte sie fest an sich.
»Du gehst jetzt am besten ins Bett und denkst nicht mehr daran. Okay?«
Sie spürte deutlich ihre Liebe zu ihm. Ich schlage dich nie, wenn du es nicht verdient hast, Beverly, hatte er ihr einmal gesagt, als sie es wagte, eine Bestrafung als ungerecht zu bezeichnen. Und sicher stimmte das, denn er konnte liebevoll sein, und wenn er manchmal einen Tag mit ihr verbrachte, ihr zeigte, wie dieses oder jenes gemacht wurde oder ihr alles Mögliche erzählte, glaubte sie, dass ihr vor Glück das Herz zerspringen würde. Sie liebte ihn, und sie verstand, dass er sie oft bestrafen musste, weil es – wie er sagte – seine Pflicht war, seine von Gott aufgetragene Pflicht. Töchter, erklärte Al Marsh, brauchen mehr Züchtigung als Söhne. Er hatte keine Söhne, und manchmal hatte sie das Gefühl, dass auch das teilweise ihre Schuld sein könnte.
»Okay, Daddy«, sagte sie. »Das mache ich.«
Sie gingen zusammen in ihr kleines Zimmer; ihr rechter Arm tat von dem Schlag furchtbar weh. Sie warf über die Schulter hinweg einen Blick auf das Bad und sah das blutige Waschbecken, den blutigen Spiegel, die blutige Tapete, den blutigen Fußboden … das blutige Handtuch, das ihr Vater benutzt und dann über den Handtuchhalter gelegt hatte. Und sie dachte: Wie soll ich mich nur je wieder dort waschen? Bitte, Gott, lieber Gott, es tut mir leid, wenn ich das über meinen Vater doch selbst gedacht habe, du kannst mich bestrafen, wenn du willst, ich verdiene es, lass mich hinfallen und mich verletzen oder lass mich die Grippe bekommen wie letzten Winter, als ich so stark gehustet habe, dass ich mich übergeben musste, aber bitte, lieber Gott, lass das Blut morgen früh verschwunden sein, lass es nicht mehr da sein, bitte-bitte, lieber Gott, okay? Okay?
Ihr Vater deckte sie zu und küsste sie wie immer auf die Stirn. Dann stand er kurze Zeit einfach da, in der für ihn typischen Haltung, die für Bev immer »seine« Haltung bleiben würde: leicht vorgebeugt, Hände tief – bis weit über die Handgelenke – in den Hosentaschen, die blauen Augen in seinem traurigen Hundegesicht von oben auf sie gerichtet. In späteren Jahren, lange nachdem sie aufgehört hatte, überhaupt noch an Derry zu denken, sah sie manchmal einen Mann im Bus oder an irgendeiner Ecke stehen, manchmal in der Abenddämmerung, manchmal im Mittagslicht eines klaren Herbsttages im Watertower Square, und wurde an ihren Vater erinnert; oder Tom, der ihrem Vater so ähnlich sah, wenn er sein Hemd auszog und vor dem Badspiegel stand und sich rasierte. Ein ganz bestimmter Typ von Mann.
»Manchmal mache ich mir Sorgen um dich, Beverly«, sagte er, aber jetzt lag keine Drohung in seiner Stimme. Er fuhr ihr zärtlich übers
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