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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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war geöffnet. Da stand ihr Vater, ein großer Mann, dem die kastanienbraunen Haare, die er Beverly vererbt hatte, allmählich ausfielen. Er trug immer noch seine graue Arbeitshose und sein graues Hemd (er war Hausmeister im Derry Home Hospital), und er sah Beverly streng an. Er trank nicht, er rauchte nicht, er hatte keine Weibergeschichten. Ich habe alle Weiber, die ich brauche, zu Hause, pflegte er zu sagen und grinste dabei merkwürdig geheimnistuerisch – aber dieses Grinsen hellte sein Gesicht nicht auf, sondern bewirkte genau das Gegenteil. Es war wie der Schatten einer Wolke, der schnell über ein steiniges Feld trieb. Sie kümmern sich um mich, und wenn es nötig ist, kümmere ich mich um sie.
    »Na, was soll das, zum Teufel noch mal?«, fragte er, als sie hereinkam.
    Beverly hatte das Gefühl, als wäre ihre Kehle zugeschnürt. Ihr Herz hämmerte dumpf in der Brust. Sie glaubte, sich jeden Moment übergeben zu müssen. Lange Blutstropfen liefen am Spiegel herab. Die Glühbirne über dem Waschbecken war blutbefleckt, und sie konnte es kochen riechen. Blut floss über die Porzellanseiten des Beckens und fiel in dicken Tropfen auf den Linoleumboden.
    »Daddy …«, flüsterte sie heiser.
    Er wandte sich angewidert von ihr ab (was nichts Neues für sie war) und begann sich in dem blutigen Waschbecken die Hände zu waschen. »Großer Gott, Mädchen, mach den Mund auf. Du hast mir einen Mordsschreck eingejagt. Jetzt erklär mir mal, was los war.«
    Er wusch seine Hände, und sie sah, wie seine graue Hose dort, wo sie das Waschbecken berührte, Blutflecken bekam; und wenn er mit der Stirn den Spiegel berühren sollte (er war nur wenige Millimeter davon entfernt), würde Blut auf seine Haut kommen. Ein erstickter Laut drang aus ihrer Kehle.
    Er drehte den Hahn zu, griff nach einem Handtuch, das auch zwei große Blutspritzer abbekommen hatte, und begann sich die Hände abzutrocknen. Sie war einer Ohnmacht nahe, als sie sah, dass er sich die Knöchel mit Blut beschmierte. Auch unter seinen Fingernägeln und Handflächen war Blut.
    »Na? Ich warte.« Er warf das blutige Handtuch über den Handtuchhalter.
    Überall war Blut … Blut … und ihr Vater sah es nicht.
    »Daddy …« Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen sollte, aber ihr Vater unterbrach sie ohnehin.
    »Ich mache mir Sorgen um dich«, sagte Al Marsh. »Ich glaube nicht, dass du je erwachsen wirst, Beverly. Du rennst ständig draußen herum, kümmerst dich nicht um den Haushalt, du kannst nicht kochen, du kannst nicht nähen. Die Hälfte der Zeit steckst du deine Nase in Bücher und schwebst irgendwo in den Wolken, und die andere Hälfte hast du Mädchenprobleme. Ich mache mir Sorgen um dich.«
    Er holte plötzlich weit aus, und seine Hand landete schmerzhaft auf ihrem Gesäß. Sie schrie auf, konnte aber immer noch nicht den Blick von ihm abwenden. In seiner buschigen rechten Augenbraue hing ein winziger Blutstropfen. Wenn ich lange genug hinschaue, werde ich einfach verrückt werden, und dann wird mich nichts von alldem mehr berühren, dachte sie verschwommen.
    »Ich mache mir große Sorgen«, sagte er und schlug wieder zu, noch stärker als beim ersten Mal; er traf ihren Arm dicht über dem Ellbogen. Ein heftiger Schmerz durchzuckte sie, dann wurde der Arm taub. Sie wusste, dass sie dort am nächsten Tag einen großen blauen Fleck haben würde.
    »Ich mache mir schreckliche Sorgen«, sagte er und boxte sie in den Magen. In der letzten Sekunde milderte er die Wucht des Schlages etwas ab, und dadurch blieb Beverly nur die Hälfte der Luft weg. Sie keuchte, und Tränen traten ihr in die Augen. Ihr Vater betrachtete sie ungerührt. Er schob seine blutigen Hände in die Hosentaschen.
    »Du musst erwachsen werden, Beverly«, sagte er, und jetzt klang seine Stimme freundlich und mild. »Hab ich recht?«
    Sie nickte. Ihr Kopf dröhnte. Sie weinte, aber nur ganz still vor sich hin. Wenn sie laut schluchzte – in »Baby-Geheul« ausbrach, wie ihr Vater das nannte -, würde er sie eventuell erst richtig verprügeln. Al Marsh hatte sein ganzes Leben in Derry verbracht und erzählte Leuten, die ihn danach fragten (und manchmal auch jenen, die nicht fragten), dass er hier auch begraben werden wollte – möglichst erst mit hundertzehn Jahren. »Kein Grund, warum ich nicht ewig leben sollte«, erklärte er häufig Roger Aurlette, der ihm einmal im Monat die Haare schnitt. »Ich habe keine Laster.«
    »Und jetzt erzähl mal, warum du gebrüllt hast«, sagte er. »Und

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