Es: Roman
umarmte sie kurz und gab ihr mit ihren warmen, trockenen Lippen einen Kuss auf den Mundwinkel. »Nein, das wirst du nicht«, sagte sie. »Aber ich liebe dich, Bevvie.«
»Ich liebe dich auch, Mama.«
»Achte darauf, dass keine Streifen auf den Fenstern sind, wenn du mit dem Putzen fertig bist«, sagte sie, nahm ihre Handtasche und ging zur Tür. »Und wenn doch, setzt es blaue Flecken von deinem Vater.«
»Ich werde darauf achten.« Als ihre Mutter gerade zur Tür hinausgehen wollte, fragte Beverly sie beiläufig (zumindest hoffte sie, dass es beiläufig klang): »Hast du im Bad irgendwas Seltsames gesehen, Mama?«
Mrs. Marsh drehte sich noch einmal um und runzelte leicht die Stirn. »Etwas Seltsames?«
»Na ja … Ich hab dort gestern Abend eine Spinne gesehen. Sie kroch aus dem Abfluss. Hat Daddy es dir nicht erzählt?«
»Hast du deinen Vater gestern Abend geärgert, Bevvie?«
»Nein. Ich hab ihm erzählt, dass eine Spinne aus dem Abfluss gekrochen ist und mich erschreckt hat. Und er hat gesagt, dass in der alten Highschool manchmal ertrunkene Ratten in den Kloschüsseln schwammen. Wegen der Abflussrohre. Hat er dir nichts von der Spinne erzählt?«
»Nein.«
»Oh, na ja, ist ja auch egal. Ich habe mich nur gefragt, ob du sie auch gesehen hast.«
»Nein, ich habe keine Spinne gesehen. Ich wünschte, wir könnten uns neues Linoleum für das Bad leisten.« Sie betrachtete den blauen, wolkenlosen Himmel. »Es heißt, es gibt Regen, wenn man eine Spinne tötet. Du hast sie doch nicht totgemacht, oder?«
»Nein«, sagte Beverly. »Ich hab sie nicht getötet.«
Ihre Mutter sah sie an und presste die Lippen so fest zusammen, dass sie fast nicht mehr da waren. »Bist du dir sicher, dass dein Dad gestern Abend nicht böse auf dich war?«
»Nein!«
»Bevvie, fasst er dich manchmal an?«
»Was?« Beverly sah ihre Mutter durch und durch verwirrt an. Herrgott, ihr Vater fasste sie jeden Tag an. »Ich verstehe nicht, was du …«
»Vergiss es«, sagte Elfrida kurz angebunden. »Vergiss nicht den Müll. Und wenn die Fenster Streifen haben, brauchst du nicht auf deinen Vater zu warten, wenn du blaue Flecken haben willst.«
»Ich werde
(fasst er dich manchmal an)
es nicht vergessen.«
»Und komm zurück, bevor es dunkel wird.«
»Mach ich.«
(fasst er)
(macht sich große Sorgen)
Ihre Mutter verließ das Haus. Von ihrem Zimmer aus blickte Bev auch ihr nach und sah sie die Straße entlanggehen und um die Ecke biegen. Als sie sich sicher sein konnte, dass ihre Mutter unterwegs zur Bushaltestelle war, holte Beverly Eimer, Windex und einige Lappen unter der Spüle hervor. Sie ging ins Wohnzimmer und begann dort mit dem Putzen der Fenster. Die Wohnung kam ihr viel zu still vor. Jedes Mal, wenn der Fußboden knarrte oder irgendwo im Haus eine Tür zugeschlagen wurde, fuhr sie zusammen. Als in der Wohnung der Boltons über ihr die Toilettenspülung zu hören war, stieß sie einen leisen Schrei aus.
Und immer wieder schweiften ihre Blicke zur geschlossenen Badtür.
Schließlich ging sie hin und riss die Tür weit auf. Nachdem ihre Mutter heute Morgen hier geputzt hatte, war der größte Teil des Blutes, das auf den Boden getropft war, verschwunden … ebenso das Blut am Waschbeckenrand. Aber im Becken selbst waren immer noch rotbraune trockene Blutflecken, und auch auf dem Spiegel und auf der Tapete.
Beverly betrachtete ihr weißes Gesicht im Spiegel und stellte mit plötzlichem abergläubischem Entsetzen fest, dass das Blut auf dem Glas den Eindruck erweckte, als blutete ihr Gesicht, und sie dachte wieder: Was soll ich nur tun? Bin ich verrückt geworden? Bilde ich mir das alles nur ein?
Aus dem Ablauf kam plötzlich ein rülpsendes Kichern.
Beverly schrie auf und schlug die Tür zu, und fünf Minuten später zitterten ihre Hände immer noch so stark, dass sie fast die Flasche Windex fallen ließ, während sie die Fenster im Wohnzimmer putzte.
5
Nachdem Beverly Marsh gegen drei Uhr nachmittags die Wohnung abgeschlossen und ihren Schlüssel sorgfältig in die Jeanstasche gesteckt hatte, ging sie die Richard’s Alley entlang, ein enges Sträßchen, das die Main Street mit der Center Street verband, und stieß dort zufällig auf Ben Hanscom, Eddie Kaspbrak und einen Jungen namens Bradley Donovan, die »Pennywerfen« spielten.
»Hallo, Bev«, rief Eddie. »Na, hast du von den Filmen Albträume bekommen?«
»Nein«, sagte Beverly und hockte sich hin, um den Jungen beim Spielen zuzusehen. »Woher weißt du
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