Es: Roman
ordentlich in der frisch gewaschenen Jeans steckte, den tadellos sauberen Schuhen und mit dem sorgfältig gekämmten Haar sah er eher wie der kleinste Erwachsene der Welt aus. Dann lächelte er, und dieser Eindruck verging.
Sie wird jetzt nicht mehr erzählen, was sie uns anvertrauen wollte, dachte Eddie, weil er nicht dabei war, als Bradley ihre Mutter mit diesem Namen beschimpfte.
Aber nach kurzem Zögern erzählte Beverly es doch, denn irgendwie war Stanley anders als Bradley – im Gegensatz zu Bradley war er wirklich vorhanden, war er real.
Stanley ist einer von uns, dachte sie und wunderte sich, warum sie von diesem Gedanken plötzlich eine Gänsehaut bekam. Ich tu keinem von ihnen einen Gefallen, wenn ich es ihnen erzähle, dachte sie. Ihnen nicht, und mir selbst auch nicht.
Aber es war schon zu spät. Sie hatte schon angefangen zu reden. Stan setzte sich zu ihnen. Sein Gesicht war ernst und wie versteinert. Eddie bot ihm den Rest seines Erdbeershakes an, aber Stan schüttelte nur den Kopf, ohne Beverly aus den Augen zu lassen. Niemand unterbrach sie bei ihrem Bericht.
Sie erzählte ihnen von den Stimmen. Wie sie Veronica »Ronnie« Grogans Stimme erkannt hatte. Sie wusste genau, dass Ronnie tot war, aber es war ihre Stimme gewesen. Sie erzählte ihnen von dem Blut, und dass ihr Vater es nicht gesehen oder gerochen hatte, und dass auch ihre Mutter es an diesem Morgen nicht bemerkt hatte.
Als sie geendet hatte, sah sie die anderen der Reihe nach an. Sie hatte Angst vor dem, was sie vielleicht in ihren Gesichtern lesen würde … aber sie sah keine Ungläubigkeit. Sie sahen alle erschrocken, aber nicht ungläubig aus.
Schließlich sagte Ben: »Schauen wir uns die Sache doch mal an.«
7
Sie betraten die Wohnung durch die Hintertür, nicht nur deshalb, weil Bevs Schlüssel zu dieser Tür passte, sondern auch, weil sie sagte, dass ihr Vater sie umbringen würde, wenn Mrs. Bolton ihm erzählte, dass sie in Abwesenheit ihrer Eltern drei Jungen mitgebracht hatte.
»Warum denn?«, fragte Eddie verwundert.
»Das verstehst du nicht, Dummchen«, sagte Stan. »Sei lieber still.«
Eddie wollte etwas erwidern, aber nach einem Blick auf Stans bleiches, angespanntes Gesicht hielt er lieber den Mund.
Die Hintertür führte in die Küche, die von Nachmittagssonne überflutet und sehr still war. Das Frühstücksgeschirr funkelte im Ständer auf der Spüle. Die vier Kinder rückten am Küchentisch eng zusammen, und als im oberen Stock eine Tür laut zufiel, durchzuckte es sie alle, und sie lachten nervös.
»Wo ist es?«, fragte Ben flüsternd.
Mit pochenden Schläfen führte Beverly sie den schmalen Flur entlang, an dessen Ende sich das Bad befand. Sie öffnete die Tür, lief rasch hinein und steckte den Gummistöpsel in den Abfluss des Waschbeckens. Dann ging sie zurück und stellte sich zwischen Ben und Eddie. Das Blut war zu fürchterlichen rotbraunen Flecken auf dem Spiegel, auf der Tapete und im Waschbecken getrocknet. Sie starrte darauf, weil ihr das immer noch leichter fiel, als einen der Jungen anzuschauen.
Schließlich fragte sie mit schwacher Stimme, die sie kaum als ihre eigene erkannte: »Seht ihr es? Sieht es irgendjemand von euch? Ist es da?«
Ben trat vor, und sie war von Neuem überrascht, wie leichtfüßig er sich für einen so dicken Jungen bewegte. Er berührte einen der Blutflecken; dann einen zweiten; dann einen langen Tropfen auf dem Spiegel. »Hier. Hier. Und hier«, sagte er mit brüchiger, aber bestimmter Stimme.
»Himmel! Es sieht so aus, als hätte jemand hier ein Schwein geschlachtet«, sagte Stan erschrocken.
»Und es kam aus dem Abfluss?«, fragte Eddie. Der Anblick des Blutes verursachte ihm leichte Übelkeit. Er atmete schwer und umklammerte sein Asthma-Spray.
Beverly hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. Sie wollte nicht wieder weinen; sie befürchtete, dass die anderen sie sonst als typische Heulsuse ansehen könnten. Aber sie musste die Türklinke fest umklammern, weil sie vor überwältigender Erleichterung plötzlich ganz weiche Knie hatte. Erst jetzt wurde ihr so richtig bewusst, wie überzeugt sie gewesen war, Halluzinationen zu haben oder verrückt zu werden.
»Und deine Eltern haben es nicht gesehen?«, staunte Ben. Er berührte einen trockenen Blutfleck im Waschbecken, zog aber rasch seine Hand weg und wischte sie an seinem Hemdsaum ab. »Du lieber Himmel!«
»Ich weiß nicht, wie ich je wieder reingehen soll«, sagte Beverly, »um mich zu waschen, meine
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