Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
»Hallo, hier bei Uris.«
    Er lauschte, und zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine Falte. » Wer spricht dort?«
    Einen Moment lang wurde Patty angst und bange. Später log sie aus Scham und erzählte ihren Eltern, dass sie von dem Augenblick an, als das Telefon läutete, gewusst habe, dass etwas nicht in Ordnung sei; in Wirklichkeit hatte es nur diesen kurzen Moment der Angst gegeben, als sie flüchtig von ihrer Näharbeit aufgeblickt hatte. Aber vielleicht stimmte es dennoch. Vielleicht hatten sie beide lange vor diesem Telefonanruf geahnt, dass etwas auf sie zukam, etwas, was nicht zu dem hübschen Haus passte, das so geschmackvoll hinter Eibenhecken lag, etwas, was so unabwendbar war, dass es keiner Erklärungen bedurfte … dieser kurze Moment der Angst, wie der blitzschnell ausgeführte Stich mit einem Eispickel, reichte aus.
    »Ist es Mama?«, flüsterte sie ihm in jenem Moment zu. Vielleicht hatte ihr Vater mit seinen zwanzig Pfund Übergewicht und seinem ständigen »Bauchweh«, wie er es nannte, einen Herzinfarkt erlitten.
    Stan schüttelte den Kopf und lächelte dann über etwas, was der Anrufer gesagt hatte. »Du … du! Da hol mich doch der Teufel! Mike! Wie …«
    Er verstummte wieder, und sein Gesicht wurde ernst, während er zuhörte. Sie erkannte – oder glaubte es zumindest – seinen analytischen Gesichtsausdruck, den er immer hatte, wenn jemand ein Problem zur Sprache brachte oder eine plötzliche Veränderung in irgendeiner Situation erklärte oder ihm etwas Seltsames, Interessantes erzählte. In diesem Fall tippte sie auf Letzteres. War es ein neuer Klient? Ein alter Freund? Vielleicht. Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Fernseher zu, wo eine Frau gerade Richard Dawson, den Quizmaster, umarmte und ihn stürmisch küsste. Sie dachte, Richard Dawson musste wahrscheinlich häufiger geküsst werden als der Stein von Blarney, den schon unzählige Menschen geküsst hatten, weil dieser Kuss – so hieß es – dem Küssenden die Gabe der Rede verlieh. Sie dachte auch, dass sie nicht abgeneigt wäre, ihn ebenfalls zu küssen.
    Während sie nach einem passenden schwarzen Knopf für Stans blaues Baumwollhemd suchte, registrierte sie beiläufig, dass Stanley sich auf ein gelegentliches Brummen und ein »Bist du dir sicher, Mike?« beschränkte. Schließlich sagte er nach einer sehr langen Pause: »In Ordnung, ich verstehe. Ja, ich … Ja. Ja, alles. Ich verstehe, was du meinst. Ich … was? … Nein, das kann ich nicht versprechen, aber ich werde darüber nachdenken. Weißt du, dass … oh? … Hat er das? … Na, darauf kannst du wetten! Ja, mache ich natürlich. Ja … klar … danke … ja. Bis dann.« Er legte den Hörer auf.
    Patty sah ihn an und stellte fest, dass er über dem Fernseher ins Leere starrte. In der Sendung applaudierte das Publikum der Familie Ryan, die gerade zweihundertachtzig Punkte gemacht hatte, die meisten damit, dass sie erraten hatte, dass »Mathe« die häufigste Antwort auf die Frage »Was werden Eltern sagen, welches Fach hasst der Filius am meisten in der Schule?« sein würde. Die Ryans hüpften auf und ab und johlten fröhlich. Stanley dagegen runzelte die Stirn. Später sollte sie ihren Eltern sagen, Stanleys Gesicht hätte ihrer Meinung nach ein wenig blass gewirkt, was tatsächlich stimmte, aber sie sagte ihnen nicht, dass sie es in dem Moment als Täuschung der Tischlampe mit ihrem grünen Schirm abgetan hatte.
    »Wer war das, Stan?«
    »Hmmm?« Er drehte sich zu ihr um. Seinen Gesichtsausdruck hatte sie damals für Zerstreutheit gehalten, eventuell gemischt mit einer leichten Verärgerung. Erst später, als sie sich die Szene immer und immer wieder vor Augen führte, hatte sie begriffen, dass es der Gesichtsausdruck eines Mannes gewesen war, der sich ganz methodisch von der Realität löste und dabei ein Tau nach dem anderen kappte. Das Gesicht eines Mannes, dem aus heiterem Himmel etwas sehr, sehr Schlimmes zustößt.
    »Wer war am Telefon? «
    »Niemand«, sagte er und stand auf. »Ich glaube, ich werde ein Bad nehmen.«
    »Jetzt? Um sieben?«
    Er antwortete nicht, ging nur aus dem Zimmer. Sie hätte ihn vielleicht gefragt, ob etwas nicht stimmte, wäre ihm vielleicht sogar gefolgt und hätte ihn gefragt, ob ihm schlecht war – er hatte keinerlei sexuelle Hemmungen, konnte aber seltsam verklemmt sein, wenn es um andere Sachen ging, und es würde ihm nicht unähnlich sehen zu sagen, dass er ein Bad nehmen ging, wenn er in Wirklichkeit etwas nicht

Weitere Kostenlose Bücher