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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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rückgängig gemacht hatte, dann würde er es nie tun. Das Zeitalter der Wunder war schließlich schon lange vorbei.
    Aber die Tür war immer noch verschlossen, und das nervtötende Geräusch des tropfenden Wasserhahns war die einzige Antwort, die sie bekam.
    Ihre Hand zitterte, und es dauerte eine Weile, bevor es ihr gelang, den Schlüssel ins Schlüsselloch zu stecken. Sie drehte ihn und hörte, wie sich das Schloss öffnete. Sie tastete nach dem Knauf aus geschliffenem Glas. Er versuchte, ihr durch die Hand zu schlüpfen – diesmal nicht, weil die Tür abgeschlossen, sondern weil ihre Handfläche schweißnass war. Sie griff fester zu und drehte ihn herum. Sie stieß die Tür auf.
    »Stanley? Stanley? Stan…«
    Sie blickte zur Badewanne mit dem am hinteren Ende zurückgeschobenen blauen Duschvorhang und verstummte. Sie starrte einfach nur auf die Badewanne, ihr Gesicht so ernst wie das eines Kindes bei der Einschulung. Einen Augenblick später würde sie zu schreien beginnen, und Anita MacKenzie würde im Nebenhaus ihre Schreie hören und die Polizei anrufen, in der festen Überzeugung, dass jemand ins Haus der Urisens eingebrochen war und dass dort Menschen umgebracht wurden.
    Aber in diesem ersten Augenblick stand Patty Uris einfach da, die Hände vor ihrem dunklen Baumwollrock gefaltet, mit weißem, ernstem Gesicht und weit aufgerissenen Augen. Und nun verwandelte sich diese fast schon heilige Ernsthaftigkeit in etwas anderes. Ihre Augen traten aus den Höhlen, ihr Mund verzerrte sich zu einem grauenvollen Grinsen, und sie versuchte Schreie zu artikulieren, die aber noch zu groß waren, um sich durch ihre Stimmbänder quetschen zu können.
    Das von Neonröhren beleuchtete Badezimmer war sehr hell. Es gab keine Schatten in diesem Raum. Man konnte alles sehen, ob man es nun wollte oder nicht. Die Wanne war mit rosafarbenem Wasser gefüllt. Stanleys Kopf war so weit in den Nacken gelegt, dass Strähnen seiner kurzen schwarzen Haare die Haut zwischen seinen Schulterblättern berührten. Wenn seine toten Augen noch hätten sehen können, hätte er sie auf dem Kopf stehend wahrgenommen. Sein Mund war weit aufgerissen, wie eine sperrangelweit geöffnete Tür. Auf seinem Gesicht war der Ausdruck grenzenlosen Entsetzens festgefroren. Eine Packung Rasierklingen lag auf dem Rand der Wanne. Er hatte sich die Unterarme vom Ellbogen bis zum Handgelenk auf der Innenseite tief aufgeschlitzt und mit Querschnitten entlang des Handansatzes zu Ts vervollständigt. Die tiefen, klaffenden Wunden leuchteten scharlachrot im weißen Licht der Neonröhren. Die offen liegenden Sehnen und Bänder erinnerten sie an minderwertiges Rindfleisch.
    Ein Tropfen sammelte sich am Wasserhahn. Er wurde dicker. Er wurde schwanger, könnte man sagen. Er funkelte. Er fiel hinab. Plink.
    Er hatte seinen rechten Zeigefinger in sein eigenes Blut getaucht und ein einziges Wort auf die blauen Kacheln über der Badewanne geschrieben – zwei riesige zittrige Buchstaben. Vom zweiten Buchstaben dieses Wortes führte eine blutige Fingerspur im Zickzack nach unten – seine Hand musste abgeglitten sein – jetzt schwamm sie auf der Wasseroberfläche. Patty dachte, dass Stanley dieses Wort geschrieben haben musste, als ihm schon das Bewusstsein schwand. Es kam ihr vor wie ein allerletzter Aufschrei:
     
    Wieder fiel ein Tropfen in die Badewanne.
    Plink.
    Das gab Patty Uris den Rest. Sie fand endlich ihre Stimme wieder, und während sie in die toten Augen ihres Mannes starrte, löste sich der erste Schrei aus ihrer Kehle.

2. Richard Tozier nimmt eine Auszeit
     
    Rich hatte das Gefühl, es ginge ihm sehr gut, bis das Kotzen begann.
    Er hörte sich alles an, was Mike Hanlon ihm erzählte, sagte das Richtige, beantwortete Mikes Fragen und stellte sogar selbst einige. Er war sich selbst vage bewusst, dass er mit einer seiner Stimmen redete – nicht mit einer jener übertriebenen, komischen Stimmen, die er manchmal im Radio von sich gab (im Augenblick spielte er am liebsten den Sexualberater Kinky Briefcase, und die Rundfunkhörer waren davon fast ebenso begeistert wie von seinem Colonel Buford Kissdrivel, von dem sie gar nicht genug bekommen konnten), sondern mit einer warmen, ruhigen, zuversichtlichen Stimme. Einer Mir-geht-es-gut-Stimme. Sie hörte sich großartig an, aber sie war eine Lüge. Ebenso wie seine sämtlichen anderen Stimmen Lügen waren.
    »Erinnerst du dich noch an die ganze Sache, Rich?«, fragte Mike ihn.
    »Nur dunkel«, antwortete Rich. Nach

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