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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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fuhr sich mit der trockenen Zunge über die Lippen – in ihrem Kopf klang das wie feines Sandpapier, das über ein Holzbrett schmirgelt – und rief wieder seinen Namen. Keine Antwort, nur das stetige enervierende Tropfen des Wasserhahns. Sie stellte fest, dass sie immer noch die Bierdose in der Hand hielt. Sie starrte sie albern an, so als hätte sie noch nie im Leben eine Bierdose gesehen, während ihr Herz in ihrer Kehle raste. Und tatsächlich schien sie so eine noch nie gesehen zu haben, denn als sie mit den Augen zwinkerte, verwandelte sich die Dose in einen Telefonhörer, so schwarz und bedrohlich wie eine Schlange.
    »Kann ich Ihnen helfen, Madam? Haben Sie ein Problem?«, zischte die Schlange ihr zu, und Patty schleuderte sie auf die Telefongabel, trat zurück und wischte sich die Hand an ihrer Bluse ab. Sie blickte um sich und stellte fest, dass sie im Wohnzimmer stand; sie begriff, dass sie total in Panik geraten war. Jetzt fiel ihr wieder ein, wie sie die Bierdose vor dem Bad fallen gelassen hatte, panisch die Treppe heruntergelaufen war und dachte: Das ist alles ein Irrtum, später werden wir darüber lachen. Er hat sich ein Bad eingelassen und dann festgestellt, dass er keine Zigaretten mehr hat, und er ist welche holen gegangen, bevor er sich ausgezogen hat …
    Ja. Aber er hatte die Badezimmertür schon von innen abgeschlossen gehabt, und weil es zu viel Mühe war, sie wieder aufzuschließen, hatte er einfach das Fenster über der Wanne aufgemacht und war an der Seitenfassade des Hauses hinuntergeklettert wie eine Fliege an der Wand. Klar, natürlich, logisch …
    Panik stieg wieder in ihrem Verstand hoch – wie bitterer schwarzer Kaffee, der gleich über den Rand einer Tasse fließen wird. Sie machte die Augen zu und kämpfte dagegen an. Sie stand vollkommen reglos da, eine blasse Statue, an deren Hals der Puls sichtbar schlug.
    Jetzt fiel ihr wieder ein, wie sie hier heruntergelaufen war, wie ihre Schritte auf den Treppenstufen hallten, wie sie zum Telefon gelaufen war, o ja, sicher, aber wen hatte sie anrufen wollen?
    Sie dachte irre: Ich wollte die Schildkröte anrufen, aber die Schildkröte konnte uns nicht helfen.
    Es spielte auch keine Rolle. Sie war bis zur 0 gekommen und musste etwas Seltsames gesagt haben, denn das Fräulein vom Amt hatte sie gefragt, ob sie ein Problem habe. Sie hatte eines, das stimmte, aber wie erklärte man dieser Stimme ohne Gesicht, dass sich Stanley im Bad eingeschlossen hatte und nicht antwortete, dass das unablässige Tropfen des Wassers in die Wanne ihr das Herz brach? Jemand musste ihr helfen, jemand …
    Sie steckte ihren Handrücken in den Mund und biss kräftig zu. Sie versuchte nachzudenken, versuchte, sich zum Denken zu zwingen.
    Die Ersatzschlüssel. Die Ersatzschlüssel im Küchenschrank.
    Sie lief in die Küche und stieß dabei mit dem Fuß gegen die Knopfschachtel neben ihrem Stuhl. Einige Knöpfe flogen heraus und funkelten im Lampenlicht wie Glasaugen. Sie sah mindestens ein Dutzend schwarze.
    Auf der Innenseite der Hängeschranktür über der Doppelspüle war ein lackiertes Schlüsselbrett von der Form eines großen Schlüssels angeschraubt – einer von Stans Klienten hatte es in seiner Werkstatt angefertigt und ihnen vor zwei Jahren zu Weihnachten geschenkt. Daran hingen an kleinen Haken jeweils zwei Exemplare von allen Schlüsseln im Haus, von Stan ordentlich und von Hand beschriftet: GARAGE, DACHBODEN, BAD UNTEN, BAD OBEN, VORDERTÜR, HINTERTÜR. Außerdem waren da noch doppelte Zündschlüssel, beschriftet mit M-B und VOLVO.
    Patty griff nach dem Schlüssel mit der Aufschrift BAD OBEN und rannte auf die Treppe zu, zwang sich dann aber, langsam zu gehen. Wenn sie rannte, kehrte die Panik unweigerlich zurück, und sie war einer Panik sowieso schon viel zu nahe. Außerdem wurde vielleicht alles gut, wenn sie einfach nur langsam ging. Und falls doch etwas nicht in Ordnung war und sie langsam ging, konnte Gott heruntersehen, feststellen, dass sie nur ging, und denken: Oh, gut – ich habe einen elenden Schnitzer gemacht, aber noch Zeit, ihn wieder auszubügeln.
    Sie ging so ruhig wie eine Frau auf dem Weg zum Damenbücherkränzchen die Treppe zur abgeschlossenen Badezimmertür hinauf.
    »Stanley?«, rief sie und rüttelte gleichzeitig wieder an der Tür. Sie hatte plötzlich noch mehr Angst als zuvor, wollte aber den Schlüssel nicht benutzen, weil das irgendwie etwas so Definitives an sich hatte. Wenn Gott seinen Fehler bis jetzt noch nicht

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