Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
hundertprozentig rechnen, ganz egal, ob Hanscom gerade in New York einen Wolkenkratzer baute (wo er bereits drei der meistdiskutierten Gebäude in der Stadt gebaut hatte), ein Bürohaus in Salt Lake City oder eine Kunstgalerie in Redondo Beach. Freitagsabends ging zwischen acht und halb zehn die Tür zum Parkplatz auf, und er kam herein, als würde er auf der anderen Seite der Stadt wohnen und hätte beschlossen, kurz reinzuschauen, weil nichts Gutes im Fernsehen kam. Er hatte einen eigenen Learjet und eine private Landebahn auf seiner Farm in Junkins.
    Vor zwei Jahren hatte er einen Auftrag in London ausgeführt – ein neues Kommunikationszentrum für die BBC entworfen und gebaut -, ein Gebäude, das in der britischen Presse immer noch heiß umstritten war. (»Abgesehen vom Gesicht meiner Schwiegermutter nach einer durchzechten Nacht das Hässlichste, was ich je gesehen habe«, schrieb ein Reporter des Mirror; »Vielleicht das schönste Bauwerk, das in den letzten zwanzig Jahren erstellt wurde«, schrieb ein anderer im Guardian ). Als Mr. Hanscom diesen Auftrag angenommen hatte, hatte Ricky Lee gedacht: Irgendwann werden wir ihn wiedersehen. Oder vielleicht vergisst er uns einfach. Tatsächlich war der Freitagabend nach seiner Abreise nach London vergangen, und er war nicht aufgetaucht, obwohl Ricky Lee zwischen acht und halb zehn jedes Mal hochgesehen hatte, wenn die Tür aufgegangen war. Irgendwann sehen wir ihn wieder. Vielleicht. Irgendwann war, wie sich herausstellte, der nächste Abend. Viertel nach neun war die Tür aufgegangen, und er war hereingekommen, in Jeans und einem GO’BAMA-T-Shirt und seinen alten Motorradstiefeln, und er hatte ausgesehen, als käme er höchstens vom anderen Stadtrand. Als Ricky Lee beinahe freudestrahlend gerufen hatte: »He, Mr. Hanscom! Herrgott! Was machen Sie denn hier?«, hatte Mr. Hanscom ein wenig erstaunt dreingesehen, als wäre es überhaupt nicht ungewöhnlich, dass er hier war. Und es blieb auch nicht bei dem einen Mal; in den zwei Jahren seiner aktiven Beteiligung an dem BBC-Auftrag war er jeden Samstagabend aufgekreuzt. Er verließ London mit der Concorde um 11 Uhr vormittags, hatte er dem faszinierten Ricky Lee erzählt, und kam auf dem Kennedy Airport in New York um 10.15 Uhr an – 45 Minuten vor seinem Abflug in London (»Mein Gott, das ist ja fast wie eine Reise durch die Zeit!«, hatte Ricky Lee beeindruckt gesagt). Dort stand dann eine Limousine bereit, die ihn zum Teterboro Airport in New Jersey brachte, was samstagsmorgens üblicherweise nicht länger als eine Stunde dauerte. Er konnte problemlos vor Mittag im Cockpit seines Learjets sein und gegen 14 Uhr 30 in Junkins landen. Wenn man weit genug in den Westen reist, hatte er Ricky erzählt, scheint der Tag fast kein Ende zu haben. Er machte ein zweistündiges Nickerchen, dann verbrachte er eine Stunde mit seinem Verwalter und eine halbe Stunde mit seinem Sekretär. Anschließend aß er zu Abend, und dann kam er für anderthalb Stunden ins »Red Wheel« – immer an der Bar, immer allein, obwohl es weiß Gott genügend Frauen in diesem Teil von Nebraska gab, die nur allzu gern mit ihm ins Bett gegangen wären. Zurück auf der Farm gönnte er sich sechs Stunden Schlaf, bevor die Reise in umgekehrter Richtung und Reihenfolge wiederholt wurde. Ricky Lee hatte noch keinen Gast erlebt, der von dieser Geschichte nicht beeindruckt gewesen wäre. Vielleicht ist er schwul, hatte einmal eine Frau geäußert. Ricky Lee hatte sie gemustert, das kunstvoll frisierte Haar, die teure Designerkleidung, die Diamantohrringe und den Ausdruck ihrer Augen registriert und aus all dem geschlossen, dass sie irgendwo aus dem Osten – höchstwahrscheinlich aus New York – stammte, hier einen kurzen Pflichtbesuch bei Verwandten oder einer alten Schulfreundin abstattete und es kaum erwarten konnte, wieder wegzukommen. Nein, hatte er erwidert, Mr. Hanscom ist kein Homo. Sie hatte eine Packung Doral-Zigaretten aus ihrer Handtasche geholt, sich eine zwischen die glänzenden roten Lippen gesteckt und gewartet, bis er ihr Feuer gab. Woher wollen Sie das wissen?, hatte sie mit leicht ironischem Lächeln gefragt. Ich weiß es einfach, hatte er erwidert. Und das stimmte. Er hätte ihr sagen können: Ich glaube, er ist der einsamste Mensch, dem ich je in meinem Leben begegnet bin. Aber er hatte absolut keine Lust gehabt, das dieser New Yorker Dame auf die Nase zu binden, die ihn betrachtete wie einen komischen, aber ganz originellen

Weitere Kostenlose Bücher