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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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wohl unbewusst für eine solche Gelegenheit zur Seite gelegt hatte. Geld zum Verduften.
    »Mannomann, das ist echt gruselig«, sagte er vor sich hin und war sich kaum bewusst, dass er Selbstgespräche führte. Er starrte aus dem großen Fenster auf den Strand hinaus, der jetzt menschenleer war. Die Surfer und auch das Pärchen waren verschwunden.
    O ja, Doktor, jetzt fällt mir alles wieder ein. Erinnern Sie sich beispielsweise an Stanley Uris? Na, darauf kannst du deinen PeoPeo verwetten! Erinnern Sie sich noch daran, wie wir das immer gesagt haben – PeoPeo, P.O.P.O. - und dachten, es wäre schrecklich cool? Stanley Urin nannten ihn die großen Burschen. »He, Urin, wohin des Weges, du verdammter Christusmörder? Will einer deiner schwulen Freunde dir einen runterholen?«
    Rich warf die Safetür zu und klappte das Foto davor wieder auf. Wann hatte er zuletzt an Stan Uris gedacht? Vor fünf Jahren? Vor zehn? Vor zwanzig? Rich war mit seiner Familie im Frühling 1960 von Derry weggezogen, und wie schnell waren alle Gesichter aus seinem Gedächtnis entschwunden. Seine Bande. Dieser jämmerliche Haufen von Verlierern mit ihrem kleinen Klubhaus in den Barrens. Sie hatten sich vorgestellt, sie wären Dschungelforscher, Angehörige des Marinebaubataillons der Navy, die auf einem Atoll im Pazifik eine Landebahn bauten und gleichzeitig die Japsen abwehrten; sie hatten Dammbaumeister, Cowboys und Weltraumfahrer gespielt, aber eigentlich hatten all ihre Spiele nur einen einzigen Sinn gehabt: sich zu verstecken. Sie hatten sich vor den großen Jungen versteckt, vor Henry Bowers, Victor Criss, Belch Huggins und all den anderen. Was für ein erbärmlicher Haufen waren sie doch gewesen – Stanley Uris, der Jude mit dem Riesenzinken, Bill Denbrough, der außer »Hi-yo, Silver!« nichts sagen konnte, ohne so stark zu stottern, dass man fast wahnsinnig wurde, Beverly Marsh mit ihren blauen Flecken und ihren Zigaretten, die sie immer im Ärmel ihrer Bluse versteckte, Ben Hanscom, der so dick war, dass er fast wie eine menschliche Version von Moby Dick aussah, und Richie Tozier mit seinen dicken Brillengläsern und den Einsen im Zeugnis und seinem Großmaul und dem Gesicht, das geradezu danach schrie, in neue und aufregende Formen geprügelt zu werden. Gab es ein Wort für das, was sie gewesen waren? O ja. Das gab es immer. In diesem Fall war das passende Wort: Feiglinge.
    Wie ihm alles wieder einfiel … und nun stand er hier in seinem Wohnzimmer und zitterte hilflos wie eine heimatlose Töle im Sturm, denn das war nicht alles, woran er sich erinnerte. Es gab auch noch andere Dinge, Dinge, an die er seit vielen Jahren nicht mehr gedacht hatte, die dicht unter der Oberfläche bebten.
    Blutige Dinge.
    Eine Dunkelheit. Irgendeine Dunkelheit.
    Das Haus an der Neibolt Street. Bill, der schrie: »Du hast m-m-meinen B-B-B-Bruder umgebracht, du D-D-Dreckskerl!«
    Erinnerte er sich? Gerade so sehr, dass er sich nicht mehr erinnern wollte, darauf konnte man Gift nehmen.
    Ein Geruch nach Abfällen und Scheiße und noch etwas anderem. Etwas viel Schlimmerem. Der Geruch des Monsters. Der Geruch dort unten im Dunkeln unter Derry, wo die Pumpen dröhnten und dröhnten … Er erinnerte sich an George.
    Aber das war zu viel und er rannte ins Bad, stieß unterwegs gegen seinen Fernsehsessel und wäre um ein Haar hingefallen. Er schaffte es – wenn auch nur knapp. Wie ein verrückt gewordener Breakdancer schlitterte er auf den Knien über die spiegelglatten Fliesen zur Toilette, umfasste die Schüssel und kotzte sich die Seele aus dem Leib. Aber auch dann hörte es nicht auf; plötzlich konnte er Georgie Denbrough so deutlich sehen, als hätte er ihm erst gestern gegenübergestanden, Georgie, mit dem alles angefangen hatte, Georgie, der im Herbst 1957 ermordet worden war. George war gleich nach der Überschwemmung gestorben, ein Arm war ihm herausgerissen worden, und Rich hatte all das völlig aus seinem Gedächtnis verdrängt. Aber manchmal kehren die Erinnerungen an solche Dinge zurück, o ja, sie kommen wieder zurück, manchmal kommen sie wieder.
    Der Brechreiz verging, und Rich tastete blindlings nach der Wasserspülung. Wasser rauschte. Sein Abendessen, das er in heißen Klumpen ausgespuckt hatte, verschwand in der Schüssel.
    In der Kanalisation.
    Im Rauschen und dem Gestank und der Dunkelheit der Kanalisation.
    Er klappte den Deckel zu, legte die Stirn dagegen und begann zu weinen. Er weinte zum ersten Mal seit dem Tod seiner Mutter im Jahre

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