Was Die Liebe Naehrt
Einleitung
Neulich schrieb mir ein Journalist von einem Vortrag, den er besucht hatte. Das Thema klang verlockend: Wie die Liebe in der
Partnerschaft gelingt. Die Liebe zwischen Mann und Frau werde gelingen, so versprach der Referent, wenn man sich nur an seine Ratschläge halte. Doch am
Ende des Vortrags fühlte sich dieser Zuhörer nicht nur hilflos. Er spürte auch Aggressionen. Denn er wusste genau: So ideal war keine Beziehung. Und
tatsächlich: Als er dann daheim seiner Frau von all dem erzählte, gab es gleich Streit. Der Vortrag hatte genau das Gegenteil dessen bewirkt, was er
verheißen hatte.
Wenn das Ideal zu hoch gehängt ist und im Alltag unerreichbar bleibt, kann Liebe im buchstäblichen Sinn »verhungern«.
Die Frage ist: Was nährt die Liebe? Wie können Beziehungen auch im Alltag aus der Quelle der Liebe leben? Spiritualität kann einen Weg zu dieser Quelle
weisen. In diesem Buch möchte ich keine billigen Versprechungen abgeben. Es gibt keine bestimmte »Methode«, die garantiert, wie die Liebe zwischen Mann
und Frau und die Liebe zwischen Freunden gelingen kann. Es geht mir um Beziehung und Spiritualität im Alltag. Spiritualität ist ja keine Rezeptur mit
definierter Wirkung. Und auch kein frommer Mantel, der über die alltäglichen Konflikte gehängt wird. Sie deckt nichts zu. Sie ist kein Ideal, daswir anstreben (und doch nie erfüllen werden). Vielmehr zeigt sie einen Weg, einen realistischen Weg. Die Frage ist ja: Wie können wir mit
unserer Sehnsucht nach gelingender Beziehung umgehen und zugleich mit den Erfahrungen der Enttäuschung und Verletzung? Wie können wir das tun, ohne die
Hoffnung zu verlieren und ohne mit schlechtem Gewissen auf das ständige Misslingen zu reagieren? Die Spiritualität wirkt sich aus: Sie relativiert unsere
angestrengten Bemühungen um gelingende Beziehungen. Sie zeigt, dass die Beziehung zwischen den Geschlechtern nicht alles im Leben ist. Sie will uns
entlasten von übertriebenen Erwartungen, die wir an uns und unsere Beziehungen stellen. Und zugleich zeigt sie uns ein Fundament für unser Leben auf. Auf
diesem Fundament können wir dann auch gelassen und vertrauensvoll unsere Beziehungen leben.
Es gibt vielfältige Beziehungen: die Beziehung zwischen Mann und Frau, zwischen Freund und Freundin, zwischen Freunden und zwischen Freundinnen, die
Beziehung zwischen Eltern und Kindern, die Lehrer-Schüler-Beziehung und andere zeitlich beschränkte Beziehungen, etwa bei der
geistlichen Begleitung oder bei der Sterbebegleitung. Bei all diesen jeweils ganz besonderen Beziehungen spielt die Spiritualität natürlich auch eine
große Rolle. Doch ich möchte mich in diesem Buch bewusst auf die Beziehung zwischen Mann und Frau und auf die Beziehung der Freundschaft beschränken.
Dabei verstehe ich Spiritualität in einem offenen Sinn. In einem christlichen Verständnis ist Spiritualität das Leben aus der Quelle des Heiligen
Geistes. Spiritualitätmeint in dieser Tradition nicht nur die Beziehung zu Gott und zu Jesus Christus, sondern auch den Ausdruck des
Glaubens im Gebet, in der Teilnahme am Gottesdienst und in der Bereitschaft, sich im eigenen Leben auf das Wort der Bibel einzulassen. Heute wird der
Begriff Spiritualität meist offener verstanden als es das traditionelle christliche Verständnis anzeigt. Sie ist in diesem Verständnis der Sinn für die
Transzendenz und meint das Gespür für eine tiefere Dimension des Lebens. In diesem weiteren Sinn ist ein spiritueller Mensch, wer sich mit dem
Vordergründigen nicht zufriedengibt und den Sinn des Lebens und die Hoffnung für sich selber jenseits der Grenze des Sichtbaren, Machbaren, Erfahrbaren
sucht. Ich selber habe natürlich immer die christliche Spiritualität im Blick, möchte aber bewusst in einer Offenheit schreiben, die es möglich macht,
dass sich auch die Menschen angesprochen fühlen, die Spiritualität außerhalb der Kirche suchen.
Dimensionen
der Liebe
Ist die Liebe am Ende?
Die zwei Gesichter der Individualisierung
Was gefährdet Beziehungen? Manche Psychologen meinen, die Beziehungsunfähigkeit sei das größte Leiden heutiger Menschen. Es gibt
soziologische Erklärungen, warum der heutige Mensch so oft unter Beziehungslosigkeit leidet und wieso die Liebesfähigkeit bedroht ist. Eine davon besagt:
Wir leben in einer Zeit der Individualisierung. Die Individualisierung hat ihre guten Seiten. Sie bringt mit sich, dass jeder sein einmaliges Leben
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