Es: Roman
diesem Zeug?«, fragte Beverly. Sie trug gewöhnliche Levi’s, hatte aber etwas Komisches mit den Säumen gemacht, nämlich die letzten zehn Zentimeter mit einem bunten Paisley-Stoff aufgebauscht, sodass sie wie die Matrosenhose eines Schwulen aussah.
»Kapier ich auch nicht«, meinte Eddie. »Die meiste Zeit ist Derry doch stinklangweilig.«
»Na ja, ich glaube, es liegt daran, dass er nicht hier geboren ist«, erklärte Mike ein bisschen schüchtern. »Es ist alles so … ich weiß auch nicht, wie ich sagen soll … so neu für ihn oder so, als käme man erst in der Mitte eines Films ins Kino …«
»K-K-Klar, man möchte w-wissen, was am Anfang l-l-los war«, kam Bill ihm zu Hilfe.
»Ja, das ist es.« Mike nickte dankbar. »Derry hat jede Menge Geschichten zu bieten. Mir gefällt das. Und ich glaube, einiges davon steht in Zusammenhang mit diesem … diesem Es, wenn ihr es so nennen wollt.«
Er blickte Bill an, und Bill nickte mit schmalen, nachdenklichen Augen.
»Ich habe das Album nach der Parade vom 4. Juli wieder einmal durchgesehen, weil ich wusste, dass ich diesen Clown schon vorher gesehen hatte. Ich wusste es. Und jetzt seht euch das an!«
Er öffnete das Album, schlug es an einer bestimmten Stelle auf und reichte es Ben, der rechts neben ihm saß.
»R-R-Rührt die S-S-S-Seiten nicht an!«, rief Bill scharf, und seine Stimme war so eindringlich, dass alle zusammenzuckten. Er hatte eine Hand zur Faust geballt; Richie sah, dass es die Hand war, die er sich in Georgies Zimmer verletzt hatte. Sie war zu einem festen, schützenden Knoten geballt.
»Bill hat recht«, sagte er mit einer so gedämpften, besorgten Stimme, wie man sie von ihm überhaupt nicht gewöhnt war. Und gerade das überzeugte die anderen, dass er es ernst meinte. »Seid vorsichtig. Es ist so, wie Stan es sagte: Wenn wir es damals gesehen haben, könntet ihr es auch sehen.«
»Und spüren «, fügte Bill grimmig hinzu.
Das Album ging von Hand zu Hand; alle hielten es nur ganz vorsichtig an den Kanten fest, so als wäre es altes Dynamit, aus dem hochexplosive Nitroperlen austreten konnten.
Als es wieder bei Mike angekommen war, schlug er es auf einer der ersten Seiten auf.
»Daddy sagt, man könnte nicht mehr feststellen, aus welcher Zeit dieses Bild genau stammt, aber vermutlich vom Anfang oder von der Mitte des 18. Jahrhunderts«, erklärte Mike. »Er hat einem Mann für einen Karton alter Bücher und Bilder die Bandsäge repariert. Dieses Bild war darunter. Daddy sagt, dass es vierzig Dollar oder noch mehr wert sein könnte.«
Es war ein Holzschnitt von der Größe einer großen Postkarte, und als Bill an die Reihe kam, es zu betrachten, stellte er erleichtert fest, dass Mikes Vater ein Album verwendet hatte, in dem die Bilder unter einer durchsichtigen Schutzfolie eingelegt wurden. Er starrte fasziniert auf den Holzschnitt und dachte: Da! Ich sehe ihn – oder vielmehr Es. Ich sehe Es wirklich. Das ist das Gesicht des Feindes.
Das Bild zeigte einen komischen Kauz, der mitten auf einer morastigen Straße mit etwas jonglierte, das wie übergroße Bowlingkegel aussah. Rechts und links der Straße standen einige Häuser und ein paar Gebäude, bei denen es sich vermutlich um Läden handelte. Das Ganze hatte keinerlei Ähnlichkeit mit Derry, von einer Ausnahme abgesehen: Der Kanal war schon da, auf beiden Seiten ordentlich mit Kopfsteinen gepflastert. In der oberen Ecke waren im Hintergrund Maultiere zu sehen, die auf einem Treidelpfad ein Boot zogen.
Etwa ein halbes Dutzend Kinder standen um den komischen Kauz herum. Eines trug einen ländlichen Strohhut. Ein Junge hatte einen Reifen in der Hand, und in der anderen einen Stock, um ihn damit anzutreiben. Nicht so einen Stock, wie man ihn heutzutage bei Woolworth’s bekam, wenn man einen Reifen kaufte, nein, dieser Stock stammte von einem Baum. Bill konnte die blankeren Stellen sehen, wo einst kleinere Zweige herausgewachsen waren, die aber dann mit einem Messer oder einer Axt sauber abgetrennt worden waren. Das Ding kam nicht aus Taiwan oder Korea, dachte er und betrachtete fasziniert den Jungen, der er selbst hätte sein können, wäre er vier oder fünf Generationen früher zur Welt gekommen.
Der komische Kauz grinste übers ganze Gesicht. Er war nicht geschminkt (doch Bill fand, dass sein ganzes Gesicht wie eine geschminkte Maske aussah), aber er war kahlköpfig, bis auf zwei Haarbüschel, die wie Hörner über seinen Ohren hochstanden, und Bill erkannte mühelos ihren
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