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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Clown. Vor zweihundert Jahren oder mehr, dachte er und verspürte eine eigenartige Mischung aus Angst, Zorn und Erregung. Als er siebenundzwanzig Jahre später in der Stadtbücherei von Derry saß und sich an diesen ersten Blick in das Album von Mikes Vater erinnerte, dachte er, dass er sich damals gefühlt hatte wie ein Jäger, der die erste frische Spur eines alten Killertigers gefunden hat. Vor zweihundert Jahren … so lange schon, und nur Gott weiß, wie viel länger. Dieser Gedanke brachte ihn auf die Frage, wie lange der Geist von Pennywise, dem Clown, schon in Derry sein mochte – aber er stellte fest, dass er sich mit dieser Frage lieber nicht ausführlich beschäftigen wollte.
    »Gib’s mir, Bill«, sagte Richie, aber Bill hielt das Album noch einen Augenblick in Händen und starrte auf den Holzschnitt, überzeugt davon, dass er gleich zum Leben erwachen würde. Die Bowlingkegel (wenn es wirklich welche waren), mit denen der komische Kauz jonglierte, würden durch die Luft fliegen, die Kinder würden lachen und Beifall klatschen (vielleicht würden einige stattdessen aber auch schreien und weglaufen), die Maultiere würden jenseits des Bildrandes verschwinden.
    Aber nichts von alldem geschah, und Bill reichte das Album weiter an Richie.
    Als es zu Mike zurückkam, blätterte dieser einige Seiten um. »Hier«, sagte er. »Dieses Bild ist von 1856, vier Jahre, bevor Lincoln Präsident wurde.«
    Wieder machte das Album die Runde. Es handelte sich um ein farbiges Scherzbild, das eine Schar Betrunkener darstellte, die vor einem Saloon herumstanden (oder herumtaumelten), während ein fetter Politiker mit Backenbart auf einem Brett eine Rede hielt – besagtes Brett lag auf zwei großen Fässern und bog sich unter seinem Gewicht bedenklich durch. Aus einiger Entfernung betrachtete eine Gruppe von Frauen in Häubchen angewidert diese Trunksüchtigen. Das Bild trug die Unterschrift: POLITIK IN DERRY MACHT DURSTIG, SAGT SENATOR GARNER!
    »Daddy sagt, solche Bilder sind in den Vierziger- und Fünfzigerjahren des 19. Jahrhunderts sehr beliebt gewesen«, erklärte Mike. »Man nannte sie ›Narren-Karten‹ und verschickte sie gern an Freunde und Bekannte. Ich nehme an, sie waren so was Ähnliches wie heute manche Karikaturen in Mad .«
    »S-S-S-Satire.«
    »Ja«, sagte Mike. »Aber schaut euch mal die untere Ecke der Karte genauer an.«
    Auch diese Karte ähnelte einem Mad -Bild, da es hier unzählige komische Einzelheiten und Kleinigkeiten zu sehen gab: Da war ein grinsender dicker Mann, der einem gefleckten Hund ein Glas Bier in die Kehle schüttete, eine Frau, die hingefallen war und mitten in einer Pfütze auf dem Hintern saß, zwei boshafte Straßenbengel, die einem wohlhabend aussehenden Geschäftsmann Schwefelhölzer in die Schuhsohlen steckten, und ein Mädchen, das mit dem Kopf nach unten in einer Ulme schaukelte. Aber den Clown hätten sie auch ohne Mikes Hinweis und trotz dieses verwirrenden Detailreichtums nicht übersehen. Er trug einen grell karierten, eng anliegenden Anzug, wie manche Handlungsreisende sie liebten, und er spielte mit einigen betrunkenen Holzfällern das Spiel »Eine-Erbse-drei-Nussschalen«. Er zwinkerte einem Holzfäller zu, der – seinem offenen Mund und dem ganzen überraschten Gesichtsausdruck nach zu schließen – gerade die falsche Nussschale erwischt hatte. Der Handlungsreisende beziehungsweise Clown nahm eine Münze von ihm entgegen.
    »Wieder er«, sagte Ben. »Wann war das … hundert Jahre später?«
    »In etwa«, antwortete Mike. »Und hier ist eins von 1891.«
    Diesmal war es ein Zeitungsausschnitt aus den Derry News: der Leitartikel auf der ersten Seite. HURRA! lautete die überschwängliche Überschrift. EISENHÜTTE ERÖFFNET! Und direkt darunter: Die ganze Stadt strömt zum Galapicknick. Das Zeitungsfoto war ein Holzschnitt, der die Zeremonie des Band-Zerschneidens in der Kitchener-Eisenhütte zeigte; der Stil erinnerte Bill an die Drucke von Currier und Ives, die seine Mutter im Esszimmer aufgehängt hatte, obwohl dieses Bild hier bei Weitem nicht so künstlerisch gestaltet war. Ein mit Smoking und Zylinder herausgeputzter Mann hielt eine große, mit Bändern geschmückte Schere geöffnet an das Band, während eine riesige Menschenmenge zuschaute. Links davon vollführte ein Clown – ihr Clown – gerade einen Handstandüberschlag für eine Gruppe von Kindern. Der Künstler hatte ihn auf dem Kopf stehend eingefangen, und auf diese Weise war sein Grinsen diesmal

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