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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sah sein plötzliches Begreifen. Aber trotz ihres eigenen Schocks erkannte sie, dass er nicht nur die Offenbarung nachvollzog, sondern selbst eine erlebte.
    »Wir …«
    »Bill? Was ist?«
    »Auf diese W-W-Weise hast d-du uns rausgebracht«, sagte er, und nun funkelten seine Augen direkt furchterregend. »Beverly, verstehst du nicht? Auf diese W-W-Weise hast du uns rausgebracht! Wir alle … aber wir waren …« Plötzlich sah er verunsichert, ängstlich aus.
    »Erinnerst du dich jetzt an den Rest?«, fragte sie.
    Er schüttelte langsam den Kopf. »An k-keine Einzelheiten. Aber …« Er schaute sie an, und sie sah, dass er schreckliche Angst hatte. »W-Wir haben uns herausgewünscht. Und ich bin nicht s-sicher … Beverly, ich bin mir nicht sicher, dass Erwachsene das v-vollb-b-bringen können.«
    Sie blickte ihn lange schweigend an, und dann setzte sie sich auf die Bettkante und zog sich ganz natürlich und selbstverständlich aus. Ihr Körper war schön und glatt; ihre Wirbelsäule zeichnete sich unter ihrer Haut schwach im Halbdunkel ab, als sie sich bückte, um ihre wadenlangen Nylonstrümpfe auszuziehen. Ihre Haare bildeten ein Knäuel über einer Schulter. Er dachte, dass er sie noch vor Tagesanbruch wieder begehren würde, und erneut überkam ihn jenes Schuldgefühl, nur gemildert durch den Trost, dass Audra einen Ozean weit entfernt war. Eine neue Münze in der Jukebox, dachte er. Dieses Lied heißt »Was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß.« Aber es tut trotzdem weh …
    Beverly stand auf, schlug die Bettdecke zurück und legte sich dann wieder hin. »Komm, wir brauchen Schlaf. Wir haben ihn beide nötig.«
    »O-Okay.« Denn das stimmte wirklich. Mehr als alles andere wollte er jetzt schlafen … aber nicht allein, nicht in dieser Nacht. Der Schock über seine letzte Offenbarung flaute ab … vielleicht viel zu schnell, aber er war so müde, so ausgelaugt. Trotz seiner Schuldgefühle spürte er, dass dieses Bett ein sicherer Ort war. Er würde ein Weilchen hier liegen, in ihren Armen schlafen können. Er hatte ihre Wärme, ihre Freundschaft bitter nötig.
    Er zog Socken und Hemd aus und legte sich zu ihr. Sie schmiegte sich an ihn; ihre Brüste waren warm, ihre langen Beine kühl. Bill umarmte sie und wurde sich der Unterschiede bewusst – ihr Körper war länger als Audras, und ihre Brüste und Hüften waren voller. Aber es war ein sehr willkommener Körper.
    Es hätte Ben sein sollen, dachte er schläfrig. Ich glaube, so war es eigentlich vorherbestimmt … warum war es nicht Ben?
    Weil es damals du warst, und weil du es auch jetzt wieder bist, weiter nichts. Was geht, kommt auch wieder. Ich glaube, Bob Dylan hat das gesagt … oder Ronald Reagan. Und vielleicht bin ich es jetzt, weil Ben dazu ausersehen ist, die Dame später heimzuführen.
    Beverly kuschelte sich an ihn, nicht aus sexuellen Motiven (obwohl sie glücklich war, dass sein Glied sich an ihrem Bein wieder versteifte, wenngleich er schon dabei war, einzuschlafen), sondern nur, um seine Wärme zu spüren. Auch sie selbst schlief schon halb. Ihr Glück hier mit ihm, nach all diesen Jahren, war real. Sie wusste es, weil dieses Glück einen bitteren Beigeschmack hatte. Sie hatten diese Nacht für sich und vielleicht noch den nächsten Morgen. Das war alles. Dann würden sie wie schon einmal in die Abwasserkanäle hinabsteigen und Ihm gegenübertreten. Der Kreis würde sich schließen, und ihrer aller gegenwärtiges Leben würde sich mit ihrer Kindheit vermischen; sie würden zu einer Art Lebewesen auf einem aberwitzigen Möbiusband werden.
    Entweder das – oder aber sie würden dort unten sterben.
    Sie drehte sich um. Er schob einen Arm zwischen ihre Seite und ihren Arm und umfasste zärtlich eine ihrer Brüste. Bei ihm brauchte sie nicht wach zu liegen und sich zu fragen, ob seine Hand plötzlich unerwartet schmerzhaft zupressen würde.
    Ihre Gedanken verschwammen, und sie glitt in den Schlaf. Wie immer sah sie dabei leuchtende wilde Blumen – Unmengen wilder Blumen, die unter einem blauen Himmel wogten. Dann verblassten sie, und sie glaubte zu fallen – als Kind war sie von diesem Gefühl manchmal schreiend und schweißgebadet aufgewacht. In ihren Psychologielehrbüchern im College hatte sie gelesen, dass solche Kinderträume vom Fallen sehr verbreitet waren.
    Aber diesmal wachte sie nicht erschrocken auf; sie spürte das warme, tröstliche Gewicht seines Arms, seine Hand auf ihrer Brust. Wenn sie fiel, so fiel sie diesmal wenigstens

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