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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Zigarette in dem Aschenbecher, den es in seinem Rucksack von zu Hause mitgebracht hat.
    Schließlich sagt der Dozent sehr sanft wie zu einem Kind, das einen unerklärlichen Wutanfall hat: »Glauben Sie, dass William Faulkner einfach Geschichten erzählte? Glauben Sie, dass Shakespeare nur daran interessiert war, Geld zu verdienen? Los, Bill. Sagen Sie uns Ihre Meinung.«
    »Ich glaube, dass das der Wahrheit sehr nahekommt«, erklärt Bill nach einer langen Pause, in der er sich die Antwort gut überlegt hat, und an den Augen der anderen Kursteilnehmer kann er ablesen, dass sie ihn verdachten.
    Der Dozent spielt mit seinem Stift und lächelt nachsichtig mit halb geschlossenen Augen: »Ich würde sagen, dass Sie noch eine ganze Menge lernen müssen.«
    Der Beifall setzt irgendwo in den hinteren Reihen ein.
    Bill geht – aber in der folgenden Woche ist er wieder da, fest entschlossen, nicht aufzugeben. In der Zwischenzeit schreibt er eine Geschichte mit dem Titel »Das Dunkel«, die von einem kleinen Jungen handelt, der im Keller seines Hauses ein Monster entdeckt, den Kampf mit ihm aufnimmt und es schließlich tötet. Er verspürt eine Art heiliger Erregung, als er darangeht, diese Geschichte niederzuschreiben; er hat sogar das Gefühl, dass nicht er die Geschichte erzählt, sondern dass die Geschichte ihn nur als eine Art schreibendes Medium benutzt; und an einer Stelle legt er den Stift beiseite und geht hinauus in die schneidende Dezemberkälte, um seiner heißen, schmerzenden Hand etwas Erholung zu gönnen; er schlendert umher, der Schnee knirscht unter seinen kurzen grünen Stiefeln, und die Geschichte scheint seinen Kopf aufzublähen; es ist etwas beängstigend, wie stark sie hinausdrängt. Er hat das Gefühl, dass sie ihm in ihrem übermächtigen Drang, sich manifestieren zu wollen, die Augen aus dem Kopf drücken wird, wenn ihr der Weg über seine Hand verwehrt wird. »Sie wird mir die Scheiße aus dem Hirn treiben«, vertraut er der winterlichen Dunkelheit an und lacht unsicher auf. Ihm wird bewusst, dass er plötzlich nach zehn Jahren des Herumexperimentierens den Anlasser dieses riesigen leblosen Bulldozers, der so viel Platz in seinem Kopf einnimmt, gefunden hat. Er ist angesprungen. Sein Motor heult auf, immer lauter heult er auf. Dieses Ungetüm ist wahrlich kein Schmuckstück. Es ist nicht dafür gedacht, hübsche Mädchen zum Abschlussball zu fahren. Es ist auch kein Statussymbol. Es ist ein Arbeitstier, kann platt walzen und zermalmen. Und wenn er nicht aufpasst, wird es ihn zermalmen.
    Er stürzt in sein Zimmer und schreibt wie im Fieber »Das Dunkel« zu Ende, schreibt bis vier Uhr morgens und schläft schließlich über seinem Ringbuch ein. Wenn jemand ihm gesagt hätte, dass er über seinen Bruder George schrieb, so wäre er höchst überrascht gewesen, denn er war der ehrlichen Überzeugung, seit Jahren nicht mehr an George gedacht zu haben.
    Eine Woche später gibt der Dozent ihm die Geschichte zurück. Über den Titel ist eine 6 geschmiert, und darunter steht in Großbuchstaben: SCHUND und MÜLL.
    Bill nimmt die fünfzehn Manuskriptseiten, geht zum Ofen und macht die Tür auf. Er ist kurz davor, sie ins Feuer zu werfen, als ihm bewusst wird, wie albern sein Handeln ist. Er setzt sich auf seinen Schaukelstuhl, betrachtet ein Plakat der Grateful Dead und lacht. Schund? Prima! Dann soll es eben Schund sein!
    Bill lacht, bis ihm die Tränen die Wangen herunterlaufen.
    Er tippt die Titelseite mit dem vernichtenden Urteil des Dozenten noch einmal neu und schickt sie an ein Herrenmagazin mit dem Titel White Tie (obwohl es nach allem, was Bill sehen kann, zutreffender Nackte Mädchen, die wie Drogensüchtige aussehen heißen müsste). Aber in seinem zerlesenen Leitfaden für Autoren steht, dass sie Horrorgeschichten kaufen, und die beiden Ausgaben, die er sich im hiesigen Tante-Emma-Laden gekauft hat, enthielten tatsächlich vier Horrorgeschichten zwischen nackten Mädchen und Anzeigen für schmutzige Filme und Potenzpillen. Eine, von einem Mann namens Dennis Etchison, ist sogar ziemlich gut.
    Er verschickt »Das Dunkel« ohne große Hoffnungen – er hat schon viele Geschichten an Magazine geschickt und immer nur Ablehnungsschreiben erhalten – und ist fassungslos und hocherfreut, als der Literaturredakteur von White Tie sie für zweihundert Dollar, zahlbar bei Erscheinen, kauft. Sein Stellvertreter fügt einen kurzen Brief bei und bezeichnet sie als »die verdammt beste Horrorstory seit Ray

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