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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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statt, wenn er gerade nicht zu den Zapfsäulen hinkte, wo er Benzintanks füllte, Ölstände kontrollierte und Windschutzscheiben putzte. »Und obwohl sie Angst hatte, hat sie einmal geantwortet. Sie hat sich dicht über den Abfluss gebeugt und hinuntergerufen: ›Wer zum Teufel seid ihr? Wie heißt ihr‹ Und sie erzählte mir, all diese Stimmen hätten ihr geantwortet – grunzend und lallend, heulend und jaulend, schreiend und lachend. Und meine Frau sagte, sie hätten gerufen, was der Besessene zu Jesus sagte: ›Mein Name ist Legion.‹ Meine Frau ging danach zwei Jahre lang nicht mehr in die Nähe dieser verdammten Spüle. Und ich musste, nachdem ich mir tagtäglich hier draußen zwölf Stunden lang den Arsch aufgerissen hatte, den ganzen verfluchten Abwasch machen.«
    Er trank Cola aus der Dose, ein etwa siebzigjähriger Mann in verblichener grauer Arbeitskleidung und mit Falten um Augen und Mund.
    »Na ja, Sie werden mich wahrscheinlich für verrückt halten«, sagte er, »aber ich könnte Ihnen noch was anderes erzählen, wenn Sie Ihr Karussell da mal anhalten.«
    Ich schaltete meinen Kassettenrekorder aus und lächelte ihm zu. »In Anbetracht der Dinge, die ich in den letzten Jahren gehört habe, müssten Sie schon einiges anstellen, damit ich Sie für verrückt halte«, sagte ich.
    Er lächelte zurück, aber es war kein frohes Lächeln. »Eines Abends spülte ich wie immer das Geschirr ab – es war im Spätherbst 1958, nachdem alles vorüber war. Meine Frau schlief oben. Betty war das einzige Kind gewesen, das Gott uns geschenkt hatte, und nach ihrer Ermordung schlief meine Frau sehr viel. Na ja, ich ließ also das Wasser ablaufen. Sie kennen ja das Geräusch, wenn ein Spülmittel mit drin ist – ein irgendwie undeutliches, saugendes Geräusch. Ich bemerkte es nicht weiter, sondern dachte daran, dass ich danach in den Schuppen zum Holzhacken gehen wollte. Als das Geräusch dann fast verklungen war, hörte ich da unten meine Tochter. Ich hörte Betty irgendwo da unten in den Leitungsrohren. Sie lachte. Sie lachte dort unten im Dunkeln. Nur klang es für meine Ohren mehr wie ein Hilferuf. Sie schrie und lachte da unten in den Rohren. Das war das einzige Mal, dass ich irgendsowas gehört habe. Vielleicht habe ich es mir auch nur eingebildet. Aber … ich glaube es nicht.«
    Er sah mich an, und ich erwiderte seinen Blick. Durch die schmutzigen Fenster der Tankstelle drang helles Sonnenlicht, das sein Gesicht so alt wie das von Methusalem erschienen ließ. Ich erinnere mich, wie kalt mir in diesem Moment war, eiskalt.
    »Glauben Sie, dass ich Ihnen einen Bären aufbinden will?«, fragte der alte Mann, der 1957 etwa fünfundvierzig Jahre alt gewesen sein musste, der alte Mann, dem Gott nur eine einzige Tochter geschenkt hatte. Sie hieß Betty Ripsom, und sie wurde kurz nach Weihnachten jenes Jahres in einem Straßengraben an der Outer Jackson Street aufgefunden – mit weit aufgeschlitztem Leib.
    »Nein«, erwiderte ich ernst. »Das glaube ich keineswegs, Mr. Ripsom.«
    »Und Sie sagen auch die Wahrheit«, sagte er irgendwie erstaunt. »Das kann ich in Ihrem Gesicht sehen.«
    Ich glaube, er wollte mir noch mehr erzählen, aber ein lautes Klingeln unterbrach uns – draußen war wieder ein Auto zum Tanken vorgefahren. Beim Geräusch der Klingel schreckten wir beide auf und mir entfuhr ein dünner Schrei. Mr. Ripsom stand auf und schlurfte hinaus. Er wischte sich die Hände an einem schmutzigen Lumpen ab. Als er zurückkam, sah er mich wie einen unerwünschten Fremden an, der zufällig von der Straße hereingeraten ist. Ich verabschiedete mich und ging.
    Buddinger und Ives sind sich noch in einem anderen Punkt einig: Hier in Derry stimmt tatsächlich etwas nicht; in Derry hat irgendetwas nie gestimmt.
    Ich habe Albert Carson etwa einen Monat vor seinem Tod zum letzten Mal gesehen. Der Zustand seines Kehlkopfes hatte sich verschlimmert, und er konnte nur noch flüstern. »Wollen Sie immer noch über die Geschichte von Derry schreiben, Hanlon?«
    »Ja, ich spiele noch mit der Idee«, sagte ich, aber natürlich hatte ich nie vorgehabt, über die Geschichte der Stadt zu schreiben – jedenfalls war das nicht die ganze Wahrheit -, und ich glaube, das wusste er auch.
    »Sie werden zwanzig Jahre dazu brauchen«, flüsterte er, »und kein Mensch würde Ihr Buch lesen. Kein Mensch würde es lesen wollen. Lassen Sie es lieber bleiben, Hanlon.«
    Er überlegte einen Moment und fügte dann hinzu:
    »Wissen Sie, dass

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