Es: Roman
Verbindung zu meinen alten Freunden herstellen.
Wir sind gemeinsam in die Tiefe gestiegen.
Wir sind gemeinsam in die Dunkelheit hinabgestiegen.
Würden wir aus dieser Dunkelheit wieder herauskommen, wenn wir ein zweites Mal hinabstiegen?
Ich glaube kaum.
Ich bete zu Gott, dass ich sie nicht anrufen muss.
Ich bete zu Gott.
Teil zwei
Juni 1958
»Meine Oberfläche bin ich selbst
Unter welcher
als Zeuge, die Jugend
begraben ist. Wurzeln?
Jeder hat Wurzeln.«
WILLIAM CARLOS WILLIAMS
PATERSON
»Sometimes I wonder what I’m a-gonna do,
There ain’t no cure for the summertime blues.«
EDDIE COCHRAN
Kapitel vier
Ben Hanscoms Sturz
1
Um 23.45 Uhr bekommt eine der Stewardessen, die auf dem Flug 41 der United Airlines von Omaha nach Chicago in der 1. Klasse Dienst hat, einen furchtbaren Schreck. Ein paar Sekunden glaubt sie, dass der Passagier auf Platz 1-A gestorben ist.
Als er in Omaha an Bord ging, dachte sie insgeheim: Mit dem wird’s Ärger geben. Der ist ja stockbesoffen. Seine Whiskyfahne erinnerte sie an die Staubwolke, die immer den schmutzigen kleinen Jungen in Peanuts umgibt – Pig Pen heißt er. Nervös dachte sie an den Getränkeservice kurz nach dem Start – sie war sich sicher, dass der Mann einen Drink bestellen würde, vermutlich sogar einen doppelten, und dann würde sie sich entscheiden müssen, ob sie seinem Wunsch nachkommen sollte oder nicht. Zu allem Überfluss waren für diese Route Gewitterstürme vorhergesagt worden, und sie war sich ganz sicher, dass sich der große Mann in Jeans und kariertem Hemd übergeben würde.
Aber der große schlaksige Mann bestellte ein Soda, so höflich, wie man es sich nur wünschen konnte. Sein Servicelicht leuchtete nicht auf, und nach kurzer Zeit vergaß ihn die Stewardess völlig, denn sie hatte bei diesem Flug alle Hände voll zu tun – es war einer jener Flüge, die man am liebsten sofort nach der Landung vergessen möchte, einer jener Flüge, bei denen einem unwillkürlich Gedanken ans eigene Überleben durch den Kopf schießen.
Flug United 41 laviert zwischen Gewitterstürmen hindurch wie ein guter Skifahrer beim Slalom. Der Wind ist sehr stark, viele Passagiere ängstigen sich beim Anblick der zuckenden Blitze in den Wolken (»Mami, macht Gott Blitzlichtaufnahmen von den Engeln?«, fragt ein kleiner Junge, und seine Mutter, die ziemlich grün im Gesicht ist, lacht unsicher), die Anzeige Bitte anschnallen leuchtet zwanzig Minuten nach dem Start auf und erlischt nicht mehr. Dennoch bleiben die Stewardessen in den Gängen stehen und kümmern sich um die Passagiere, deren Servicelichter unaufhörlich blinken.
»Der Reiher fliegt heute wieder mit«, sagt die Chefstewardess zu ihr, während sie sich im Gang entgegenkommen, und die Chefstewardess einem Touristen einige frische Spucktüten bringt. Der Reiher, der eine Art scherzhafter Code zwischen den Stewardessen ist, fliegt auf unruhigen Flügen immer mit. Das Flugzeug schlingert, jemand schreit leise auf, und die Stewardess muss sich festhalten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren; dabei dreht sie sich etwas um und blickt direkt in die starren Augen des Mannes auf Platz 1-A.
O mein Gott, er ist tot, denkt sie. Der Alkohol vor dem Start und dann dieser unruhige Flug … sein Herz … ihn hat bestimmt der Schlag getroffen.
Die Augen des schlaksigen Mannes sind direkt auf sie gerichtet, nehmen sie aber nicht wahr. Sie bewegen sich nicht, sind glasig. Es sind bestimmt die Augen eines Toten.
Die Stewardess wendet sich von diesem schrecklichen starren Blick ab; ihr Herz klopft laut, und sie überlegt, was sie jetzt tun soll. Sie dankt Gott, dass der Mann keinen Sitznachbarn hat, der schreien und damit eine Panik auslösen könnte. Sie wird als Erstes die Chefstewardess und dann die männliche Besatzung informieren müssen. Vielleicht kann man den Mann in eine Decke einhüllen und ihm die Augen schließen, damit es so aussieht, als schliefe er, für den Fall, dass die Anzeige Bitte anschnallen doch noch erlischt und dann einer der Passagiere auf dem Weg zur Toilette an dem Toten vorbeikommt …
All diese Gedanken schießen ihr rasend schnell durch den Kopf, dann wirft sie ihm einen zweiten Blick zu. Die toten, starren Augen sind unverändert auf sie gerichtet … und dann greift die Leiche nach ihrem Glas Soda und trinkt einen Schluck.
Genau in diesem Moment schwankt das Flugzeug besonders heftig, und der leise Überraschungsschrei der Stewardess geht in
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