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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Ein guter, zu einem Dekan passender Name. Wer ist das?
    Linkisch, von seinen Verletzungen und dem schmerzenden Knie behindert, humpelt Selig durch die Tür. Ihm gegenüber, hinter einem blanken, ordentlichen Schreibtisch sitzt ein breitschultriger, glatt rasierter, jugendlich wirkender Mann vom Typ junger Manager, dynamisch, kreativ, angepaßt; er trägt einen konservativen dunklen Anzug. Seligs erster Gedanke gilt den Verwandlungen, die die Zeit bewirkt: ein Dekan war für ihn immer ein erhabendes Symbol der Autorität, notwendigerweise ziemlich alt oder wenigstens in den mittleren Jahren gewesen; und nun sitzt da der Dekan des Columbia College und ist offenbar nicht älter als Selig selbst. Gleich darauf jedoch wird ihm klar, daß dieser Dekan nicht ein anonymer Altersgenosse ist, sondern tatsächlich ein Kommilitone, Ted Cushing, Abgangs-Jahrgang 1956, damals eine bekannte Größe auf dem Campus, Klassenpräsident, Footballstar und Einserstudent, mit Selig immerhin flüchtig bekannt. Es überrascht Selig immer aufs neue, einsehen zu müssen, daß er nicht mehr jung ist, daß er sich unversehens in eine Zeit hineingelebt hat, in der seine eigene Generation die Macht ausübt. »Ted?« platzt er heraus. »Bist du jetzt Dekan, Ted? Himmel, da wäre ich nicht im Traum drauf gekommen! Wann…«
    »Setz dich, Dave«, sagt Cushing höflich, aber ohne besondere Freundlichkeit. »Bist du schwer verletzt?«
    »Die im Krankenhaus sagen, daß ich nichts gebrochen habe. Aber ich komme mir wie eine Ruine vor.« Nachdem er sich vorsichtig auf den Sessel niedergelassen hat, deutet er auf die Blutflecken an seiner Kleidung, auf die Prellungen in seinem Gesicht. Sprechen ist eine Anstrengung; seine Kiefer knirschen in den Gelenken. »He, Ted, wir haben uns ewig nicht gesehen? Mindestens zwanzig Jahre nicht. Hast du dich an meinen Namen erinnert, oder haben sie mich aufgrund meiner Ausweise identifiziert?«
    »Wir haben es arrangiert, daß wir die Krankenhauskosten bezahlen«, sagte Cushing, der Seligs Worte nicht gehört zu haben scheint. »Falls noch weitere Ausgaben für ärztliche Behandlung entstehen, werden wir auch die übernehmen. Das kannst du schriftlich haben, wenn du willst.«
    »Dein Wort genügt mir. Und falls du dir Sorgen machst, ob ich Anzeige erstatte oder die Universität verklage – nein, das werde ich ganz bestimmt nicht tun. Jungen sind Jungen, sie haben sich da zwar ein bißchen allzusehr ausgetobt, aber…«
    »Wegen einer Anzeige deinerseits haben wir uns eigentlich keine Sorgen gemacht, Dave«, unterbricht Cushing ihn ruhig. »Die eigentliche Frage ist vielmehr die, ob wir Anzeige gegen dich erstatten sollen.«
    »Gegen mich? Weswegen denn? Weil ich mich von euren Basketballspielern habe zusammenschlagen lassen? Weil ich mit meinem Gesicht ihre kostbaren Hände beschädigt habe?« Er versucht ein gequältes Grinsen, Cushing verzieht keine Miene. Kurzes Schweigen.
    Selig müht sich, Cushings Scherz zu verstehen, eine Erklärung dafür zu finden. Er beschließt, ihn zu sondieren. Aber er rennt gegen eine Wand. Und ist plötzlich zu ängstlich, um Druck anzuwenden, fürchtet, daß er die Wand nicht durchbrechen kann. »Ich weiß nicht, was du damit sagen willst«, antwortet er schließlich. »Anzeige gegen mich? Weswegen?«
    »Deswegen, Dave.« Jetzt erst bemerkt Selig den Stoß maschinenbeschriebener Papierbogen auf dem Schreibtisch des Dekans. Cushing schiebt sie zu ihm herüber. »Kennst du die? Hier: Sieh sie dir an!«
    Unglücklich blättert Selig die Seiten durch. Es sind Semesterarbeiten, allesamt aus seiner Werkstatt. Odysseus als Symbol der menschlichen Gesellschaft. Kafkas Romane. Aischylos und die Aristotelische Tragödie. Resignation in Montaignes Philosophie. Virgil als Dantes Mentor. Einige sind mit Noten versehen: 1–, 2, 1–, 1; viele mit Randbemerkungen, zumindest positiven. Manche weisen nur Flecken und Schmierstellen auf: Das sind diejenigen, die er abliefern wollte, als er mit Lumumba aneinandergeriet. Mit unendlicher Sorgfalt schiebt er die Blätter wieder zusammen, richtet gewissenhaft die Ränder aus und schiebt den Stapel wieder zu Cushing hinüber. »Also gut«, sagte er, »ihr habt mich erwischt.«
    »Hast du diese Arbeiten geschrieben?«
    »Ja.«
    »Gegen Bezahlung?«
    »Ja.«
    »Das ist traurig, Dave. Das ist sehr traurig.«
    »Ich mußte meinen Lebensunterhalt verdienen. Ehemalige bekommen keine Stipendien.«
    »Was hat man dir für diese Aufsätze bezahlt?«
    »Drei bis vier

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