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Es stirbt in mir

Es stirbt in mir

Titel: Es stirbt in mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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Macht, Gott, aber du weigerst dich, die höchste Verantwortung zu übernehmen. Ist das fair? Ich glaube, ich habe auch eine begründete Klage. Wenn es Gerechtigkeit gibt, warum scheint dann so vieles im Leben ungerecht? Wenn du wirklich auf unserer Seite stehst, Gott, warum gibst du uns dann ein Leben voll Qual? Wo ist die Gerechtigkeit für das Kind, das ohne Augen geboren wird? Für das Kind, das mit zwei Köpfen geboren wird? Für das Kind, das mit einer Gabe geboren wird, die den Menschen nicht zugedacht war? Ich frage ja nur, Gott. Glaube mir, ich akzeptiere deinen Beschluß, ich beuge mich deinem Willen, denn was bleibt mir anderes übrig? Aber das Recht zu fragen, habe ich doch – oder?
    He, Gott! Gott? Hörst du zu Gott?
    Ich glaube nicht. Ich glaube, das alles kümmert dich einen Dreck. Gott, ich glaube, du hast mich verarscht.
    Dee-dah-de-doo-dah-dee-da. Die Musik endet. Himmlische Harmonien füllen den Raum. Alles vereinigt sich zum Einssein. Draußen vor dem Fenster tanzen Schneeflocken. Gut gemacht, Schönberg. Du hast es begriffen, wenigstens, als du jung warst. Du hast die Wahrheit erfaßt und sie auf Papier gebannt. Ich verstehe, was du sagen willst. Stell keine Fragen, willst du sagen. Akzeptiere. Einfach akzeptieren, lautet das Motto. Akzeptieren. Akzeptieren. Was immer dir auferlegt wird, akzeptiere.
    Judith sagt: »Claude Guermantes hat mich eingeladen, mit ihm über Weihnachten in die Schweiz zu fahren. Zum Skilaufen. Den Kleinen kann ich bei einer Freundin in Connecticut unterbringen. Aber wenn du mich brauchst, Dav, fahre ich nicht. Ist alles in Ordnung, mit dir? Wirst du allein fertig?«
    »Natürlich, Jude. Ich bin schließlich nicht gelähmt. Ich habe mein Augenlicht nicht verloren. Fahr du nur in die Schweiz, wenn du gern möchtest.«
    »Ich bleibe höchstens eine Woche.«
    »Ich werd’s überleben.«
    »Wenn ich zurückkomme, mußt du aber aus dieser Mietskaserne ausziehen. Du müßtest in meiner Nähe wohnen. Dann könnten wir uns häufiger sehen.«
    »Vielleicht.«
    »Ich könnte dich sogar mit ein paar Freundinnen von mir bekannt machen. Falls du daran interessiert sein solltest.«
    »Wunderbar, Jude.«
    »Das klingt aber nicht sehr begeistert.«
    »Sei nachsichtig mit mir«, bitte ich sie. »Bestürme mich nicht gleich mit tausend Dingen. Ich brauche Zeit, um mich zurechtzufinden.«
    »Also gut. Es ist wie ein neues Leben, nicht wahr, Dav?«
    »Ein neues Leben… Ja, das ist es. Ein neues Leben.«
    Der Schneesturm tobt jetzt mit voller Kraft. Autos verschwinden unter der weißen Pracht. Beim Abendessen sprach der Wetterbericht im Radio von acht bis zehn Zoll Schnee bis zum Morgen. Judith hat mich eingeladen, in der Mädchenkammer zu übernachten. Nun ja, warum nicht? Warum sollte ich sie ausgerechnet jetzt abweisen? Ich werde bleiben. Morgen vormittag werden wir mit Pauly in den Park gehen, mit seinem Schlitten in den frischen Schnee. Es schneit jetzt wirklich dicht und schwer. Der Schnee ist so schön! Er bedeckt alles, macht alles rein, läutert vorübergehend sogar diese müde, zerfressene Stadt und ihre müden, zerfressenen Menschen. Ich kann die Augen nicht davon lassen. Mein Gesicht ist dicht vor dem Fenster. In einer Hand halte ich einen Cognacschwenker, aber ich vergesse, davon zu trinken, weil der wirbelnde, tanzende Schnee mich vollkommen hypnotisiert.
    » Buh! « macht jemand hinter mir.
    Ich zucke so heftig zusammen, daß ein Teil des Cognacs gegen die Scheibe spritzt. Entsetzt fahre ich herum, geduckt, zur Abwehr bereit; dann plötzlich weicht die instinktive Angst, und ich muß lachen. Judith lacht ebenfalls.
    »Das ist das erste Mal, daß ich dich erschreckt habe«, sagt sie. »Das erste Mal in einunddreißig Jahren!«
    »Du hast mir einen gehörigen Schock versetzt.«
    »Ich habe drei oder vier Minuten lang hinter dir gestanden und habe angestrengt Gedanken ausgesandt, habe versucht, eine Reaktion bei dir auszulösen. Aber nein, nichts, du hast einfach weiter in den Schnee hinausgestarrt. Also habe ich mich angeschlichen und in dein Ohr geschrien. Du warst wirklich erschrocken, Dav. Du hast nicht nur so getan.«
    »Hast du denn gedacht, ich lüge dich an, als ich dir sagte, was mit mir ist?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Warum glaubtest du dann, daß ich nur so tun würde?«
    »Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich habe ich doch ein ganz kleines bißchen an dir gezweifelt. Jetzt aber nicht mehr. O Dav, Dav, du tust mir so unendlich leid!«
    »Nicht«, wehre ich ab.

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