Es wird Dich rufen (German Edition)
gesund. Ein Ungleichgewicht bringt alles durcheinander. Deshalb ist es die Aufgabe der Bewahrer, den Ausgleich zu halten.«
»Wieso streben die Söhne dann trotzdem nach Macht?«, wunderte sich der neue Wächter. »Das widerspricht doch dem Dualismus.«
»Das ist der Unterschied zwischen ihnen und uns. Im Prinzip wissen beide, dass das Gleichgewicht ausschlaggebend ist und eingehalten werden muss, nur sind die Söhne davon überzeugt, dass sie stark genug sind, das Gleichgewicht auch dann noch zu halten, wenn sie an der Schraube der Macht drehen, indem sie Menschen für ihre Zwecke einsetzen und missbrauchen. Es ist die Wurzel allen Übels, wenn der Blick auf die Gerechtigkeit dadurch getrübt wird, dass man sich selbst als zu gering geschätzt ansieht.«
Über einen geschotterten Weg, der nur bedingt an eine ausgebaute Straße erinnerte, waren sie unterhalb des Châteaus von Opoul angekommen.
»Hier müssen wir links abbiegen«, wies der Großmeister an. »Wohin fahren wir?«
»Nach Perillos. Boudet und Saunière waren sehr oft hier. Es gehört zu Opoul.«
Opoul – bei diesem Namen musste der neue Wächter automatisch an den Grabstein in Rennes-le-Château und an die Familiengeschichte der Marie de Negre d´Ables, Dame d´Hautpoul, denken.
Die Ähnlichkeit der Namen war frappant.
»Boudet hat in seinem Buch über die wahre Sprache der Kelten von den Steinen der Redonen geschrieben, von den Gräbern großer Männer«, bemerkte der Großmeister.
»Das erzählte Jean.«
»Dann weißt du ja, was ich dir zeigen möchte.«
»Ich vermute es.«
Langsam fuhren sie auf einen riesigen Felsen zu, der die Form eines mehrere Meter hohen, lang gezogenen Globus hatte. Er stach einem förmlich ins Auge. Eine solch eigenartige Erhebung hatte der neue Wächter noch nie gesehen.
»Was ist das?«, fragte er.
»Das ist ein Markenzeichen der Region. Man nennt diesen Fels Roc Redon.«
Der neue Wächter ahnte, worauf der Großmeister hinauswollte. Roc Redon – der wissende Stein der Redonen am Rande der Pyrenäen in der Nähe des iberischen Stammesgebiets.
»Boudet hat damit also diese Landschaft hier beschrieben?«
»Genau so ist es. Am besten du hältst hier an. Wir müssen ein Stück zu Fuß gehen.«
Gut eineinhalb Stunden führte sie der Weg durch das unebene Gelände immer weiter querfeldein, vorbei an Rosmarinsträuchern, die es hier in Massen zu geben schien. Schließlich näherten sie sich einer roten Felswand. Die Sträucher bedeckten auch sie.
Niemand hätte dahinter etwas vermutet. Doch den Großmeister zog es an exakt diese Stelle. Vorsichtig legte er sie frei, indem er die Sträucher zur Seite schob.
Ein runder Fels kam zum Vorschein, der einen Eingang verdeckte. Zu dem Gestein der Umgebung schien er nicht zu passen. Er musste von weither nach Opoul gebracht worden sein.
»Das ist sein Grab«, sagte der Großmeister. »Er war einer der ersten in einer langen Kette von Wissenden. Er brachte den Gral einst aus dem gelobten Land hierher, um ihn vor den anderen zu schützen. In seiner Tradition stehen und arbeiten wir.«
Der neue Wächter pflückte eine der Rosen, die unweit der Grabesstätte wuchsen. Dann brachte er sie vor den verschlossenen Eingang und legte sie ehrfürchtig nieder.
»Lass uns gehen«, sagte er. »Ich habe gesehen, was ich sehen wollte.
Der reale Hintergrund
Das malerisch gelegene Pyrenäen-Dorf Rennes-le-Château im Süden Frankreichs existiert tatsächlich und zählt heutzutage zu einer der Touristen-Magneten im Languedoc.
Die mysteriöse Geschichte um den Dorfpriester Abbé Bérenger Saunière (1852-1917) ist in einigen Teilen höchst umstritten, hat aber über private Aufzeichnungen zahlreiche, belegbare biographische Hintergründe, die seit Jahrzehnten unzählige Forscher animieren, hinter das Geheimnis des Priesters zu blicken.
Sauniere wurde am 11.April 1852 in Montazels geboren. Er war der älteste von sieben Geschwistern, hatte drei Brüder sowie drei Schwestern. Sauniéres Vater arbeitete unter anderem als Bürgermeister von Montazels, Leiter eines Mühlenbetriebs und Verwalter des Schlosses des Marquis de Cazermajou.
Bérenger Saunière wird gemeinhin als ein respektloser, unabhängiger, fundamentalistischer, rebellischer, athletischer junger Mann beschrieben, der seine Schuljahre in der Schule St.Louis im wenige Kilometer entfernten Limoux verbrachte. 1874 trat Sauniere dem großen Seminar von Carcassonne bei.
Drei Jahre später wurde er zum Priester geweiht und begann
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